Sozialer Tod

Ein Leben in (völliger) Isolation? Du bist sehr introvertiert, ängstlich-vermeidend oder gar schizoid? Wie gehst du damit um?
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Sozialer Tod

Beitragvon Igelnasefingerspitze » 9. Oktober 2022, 20:25

Ich lebe schon seit dem 22. Lebensjahr sozial isoliert. Keine Freunde, keine Familie, keine Kinder und fast immer keine Partnerin. Da ich bei Menschen grundsätzlich nicht gut ankomme, verlegte ich mich bereits seit der Kindheit auf die Beschäftigung mit Büchern, Hobbys und dem Klavier als Instrument. Bin also sozusagen der Dr.-House-Typus des Schizoiden. Hugh Laurie ist zwar selbst nicht schizoid, aber er spielt die Rolle oftmals recht authentisch. Wenn ich mich Leuten rede, dann scheine ich stets deren Gefühle zu verletzen oder zu missachten, wobei ich mir keinerlei Schuld bewusst bin. Ich war immer der Ansicht, das sind deren Gefühle, die müssen damit klarkommen. Mit meiner sachlichen Art kamen ausschließlich sehr intelligente Menschen bzw. Asperger oder richtige Autisten klar.

Ich bin jetzt 41 und habe (mal wieder) meine Arbeit verloren. Wiederholt nicht etwa wegen fachlicher Probleme, sondern auf Grund der typisch schizoiden Einschränkungen. Es ist schon absurd: für jegliche Art sichtbarer Behinderungen bekommt die Firma auch noch 'ne Prämie, weil sie die Quote erfüllt, aber dass es die SPS gibt, ist vielen noch nicht in die Großhirnrinde gedrungen, so dass ich mal wieder den größten Teil des Tages mit meinen Gedanken allein bin.

Depressionen waren früher kein Thema für mich, aber erstmals in der Corona-Pandemie war das Loch schon ziemlich tief und ich fürchte, es geht noch weiter nach unten. Das Leben ist für Schizoide schon eine bodenlose Frechheit. Man hat im Grunde nichts gemacht und wird überall fertiggemacht, nur weil man ein Sozialkrüppel ist. Am besten komme ich in Gesellschaft zurecht, wenn ich einfach nichts sage. Alles andere wird grundsätzlich falsch oder gar nicht verstanden oder in den falschen Hals bekommen.

Nun, wie komme ich mit der Isolation klar? Durch den bewährten Verdrängungsmechanismus. D.h. man knallt seine täglichen 24 Stunden mit allen möglichen Hobbys und Pseudotätigkeiten zu und redet sich ein, man würde es gern tun. Nur, dass das tagesformabhängig ist, ob man tatsächlich einigermaßen gute Laune dabei hat oder nicht. Man lebt Alltag: man fährt einkaufen, füttert die Katzen und schaut sich das tägliche Wetter an. Ein Rentnerleben... nur, dass man bei weitem noch nicht in dem Alter ist. Aber was sind schon gesellschaftliche Erwartungen... gibt es irgendeinen Schizoiden, den die interessieren? Wenn es eine gute Sache an dieser Störung gibt, dann, dass man die eigenen Ambitionen ziemlich gut von gesellschaftlichen Erwartungen unterscheiden kann. Das Problem ist nur: was, wenn man keine Ambitionen hat oder entwickeln kann? Macht einen dann die Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen glücklich? Meine Erfahrungswerte sagen: nein.

Das soll es mal für's Erste gewesen sein.

Wer ist sozial auch überhaupt nicht in die Gesellschaft eingebunden und lebt im sozialen Tod?

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Re: Sozialer Tod

Beitragvon 2ost » 9. Oktober 2022, 21:01

Igelnasefingerspitze hat geschrieben:Wer ist sozial auch überhaupt nicht in die Gesellschaft eingebunden und lebt im sozialen Tod?
Sozialer Tod klingt so negativ. Ich fühle mich aber wohl alleine. Das von dir erwähnte Joch verspüre ich eher, wenn ich zu gesellschaftlicher Interaktion ohne Pause gedrängt werde. Insofern: Nein, ich kenne das von dir bezeichnete so eher nicht.
Igelnasefingerspitze hat geschrieben:Es ist schon absurd: für jegliche Art sichtbarer Behinderungen bekommt die Firma auch noch 'ne Prämie, weil sie die Quote erfüllt, aber dass es die SPS gibt, ist vielen noch nicht in die Großhirnrinde gedrungen,
Für mentale/unsichtbare Behinderungen gibt es m. W. exakt die gleichen Vergünstigungen/"Prämien", wie für körperliche und es zählt vielmehr nur die Schwere der Behinderung!?

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Re: Sozialer Tod

Beitragvon ToWCypress81 » 9. Oktober 2022, 22:40

Igelnasefingerspitze hat geschrieben:Ich bin jetzt 41 und habe (mal wieder) meine Arbeit verloren. Wiederholt nicht etwa wegen fachlicher Probleme, sondern auf Grund der typisch schizoiden Einschränkungen.

Moin Igelnasefingerspitze,

herzlich Willkommen.
Auch ich bin 41 Jahre alt.
Was genau war denn der Grund für die Kündigung?
Mangelnde soziale Kompetenz oder nicht Teamfähig? Ist das falls ja eine zwingende Voraussetzung in deinem Job?
Darf ich fragen welcher Beruf/Job das war?

Depressionen waren früher kein Thema für mich, aber erstmals in der Corona-Pandemie war das Loch schon ziemlich tief

Das Corona ein Problem für Menschen ist, die nicht die Nähe zu Menschen suchen verstehe ich nicht.
Um ehrlich zu sein war der Lockdown und auch die Masken wo man meine Mimik und die Mimik der anderen nicht sah/sieht für mich die beste und schönste Zeit. So wenig Menschen und so viel Anonymität war absolut perfekt für mich. Überall die schönen leeren Straßen.

Nun, wie komme ich mit der Isolation klar? Durch den bewährten Verdrängungsmechanismus. D.h. man knallt seine täglichen 24 Stunden mit allen möglichen Hobbys und Pseudotätigkeiten zu und redet sich ein, man würde es gern tun.

Du genießt also gar nicht das alleine sein?
Was ist es denn was du von Menschen brauchst?
Ist es Anerkennung, Liebe oder ein gleichgesinnter Gedankenaustausch?
Und was hindert dich wenn du dies so stark brauchst dich Menschen gegenüber gegenteilig zu verhalten?
Den Struggle zu haben seinen Alltag sinnvoll zu erfüllen, sodass man Erfüllung mit dem erreicht was man tut, teste ich auch täglich aufs neue aus.
Momentan denke ich mir oft, diesen mit Energie zu füllen und die Energie auch wieder rauszulassen. Sodass der Körper und Geist gefordert und strapaziert wird. Sodass man sich "am leben" fühlt.
Dies habe ich letztens erreicht, indem ich mich körperlich verausgabt habe (mit dem Fahrrad), zugleich mehrere Ziele angefahren habe und mir zugleich immer wieder neue Ziele gesteckt habe wohin es gehen soll. Dabei die Emotionen und Gedanken jeglicher Art fließen und rausgelassen habe, und Abends mir durch Dinge die ich mir dort als Ziel gesteckt habe auch da alles gemacht (ausgefeiltes Essen gemacht, Hausarbeiten, zeitlich begrenztes schnelles datteln, zielgerichtete Videos gucken und Dinge für morgen vorbereitet). Natürlich geht so etwas aber auch nicht jeden Tag. Oft will ich nach solch einem Tag dann am liebsten lange gemütlich Frühstücken bei Kerzenschein, und mit Snacks und einem schönen Kaffee auf der Couch versumpfen.

Wer ist sozial auch überhaupt nicht in die Gesellschaft eingebunden und lebt im sozialen Tod?
Das alleine sein sehe ich überhaupt nicht als Tod oder ähnlich Negativem an. Ich empfinde das Alleinsein, genauso wie wenn ich mit meiner Lebensgefährtin zusammen bin als Aufatmen und Befreiung an.
Nur wenn ich alleine bin, sowie mit meiner Lebensgefährtin kann ich mich entspannen.
Was definiert denn ein eingebunden sein in die Gesellschaft?
Oberflächliche Bekanntschaften und Gespräche, Smalltalk?
Nur mit einem Menschen zusammen zu sein oder klar zu kommen sehe ich als für mich genauso wertvoll und erfüllend an, als mit zig anderen Menschen die nicht das gleiche Seelenleben wie ich es empfinde teilen.
"Vergleiche dich niemals mit anderen. Vergleiche dich immer nur mit deinem früheren Ich". - R. M.

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Re: Sozialer Tod

Beitragvon 2ost » 9. Oktober 2022, 23:57

ToWCypress81 hat geschrieben:Das Corona ein Problem für Menschen ist, die nicht die Nähe zu Menschen suchen verstehe ich nicht.
Eventuell ein schizoides Dilemma, welches erst mit dem Wegfall der letzten verbliebenen Sozialkontakte während des "Lockdowns"zutage trat? Schizoid zu sein heißt ja nicht, das man nicht extrovertiert dennoch sein kann und Geselligkeit halt schon irgendwie vermisst/braucht und nur der Schizoidie wegen vermeidet. So kann ich mir schon vorstellen, das die unvermeidlichen Kontakte vor der Pandemie noch genug waren und der "Lockdown" dann doch wie ein tiefes schwarzes Loch dann erscheint.

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Re: Sozialer Tod

Beitragvon Igelnasefingerspitze » 13. Oktober 2022, 22:31

Zur Klarstellung: ich hatte nie soziale Kontakte, die hätten wegfallen können. Eine recht lange Zeit störte mich das schizo-typisch nicht, ich hatte Arbeit, meine Hobbys, Interessen. Aber im Lockdown, als auch die Welt für zwei Jahre quasi schizoid wurde, habe ich gemerkt, dass das kein Leben mehr ist. Und dass ironischerweise die ganze Welt eine längere Zeit erfährt, wie es ist, ein Schizoider zu sein. Mit dem Unterschied, dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob man immer mal ein halbes Jahr im Lockdown ist oder auf Lebenszeit. Ich hätte genausogut 25 Jahre lang als Eremit auf einem Achttausender leben können, wahrscheinlich hätte ich da mehr soziale Kontakte, weil wenigstens hin und wieder ein lebensmüder Bergsteiger vorbeigekommen wäre.

Ja, was brauche ich eigentlich von Menschen? Das, was alle brauchen:
Die vier psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen nach Stahl:

1. Bindung. Hatte ich nicht mal zu meiner eigenen Familie, mit Ausnahme meiner Großeltern. Die mittlerweile alle tot sind.

2. Autonomie und Kontrolle. Das ist gut erfüllt auf Grund der SPS.

3. Lustbefriedigung und Unlustvermeidung. Teilweise erfüllt, da man nur eingeschränkt das Leben genießen kann, wenn man seine Erlebnisse nicht teilen kann. Aber hey, Essen und Trinken sind der Sex des Alters. ;/

4. Selbstwerterhöhung bzw. Anerkennung. Hatte ich nie. Weder durch die Familie, für die nicht mal meine Existenz gut war.

1,5 von 4 ist eine echt beschissene Quote und eine gute Begründung dafür, warum sich Depressionen völlig nachvollziehbar entwickeln.


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