SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Ein Leben in (völliger) Isolation? Du bist sehr introvertiert, ängstlich-vermeidend oder gar schizoid? Wie gehst du damit um?
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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon Chrisp » 19. Juli 2022, 15:14

@bluemoon:
Das mag eventuell Deine Diagnose mit entsprechenden Merkmalen sein, meine sicher nicht. Obwohl ich vorher die Diagnose SPS hatte.
Genau DA liegt doch der Unterschied.
Ich habe dann keine SPS mehrt, sondern eine PS mit zig Merkmalen. Aber eben keine SPEZIELLE mehr.
Mit dem neuen Verfahren werden die individuellen Unterschiede deutlich gemacht, obwohl wir wohl wahrscheinlich beide eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur haben! Doch diese ist nicht mehr per se krankhaft.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon bluemoon » 20. Juli 2022, 08:47

Chrisp hat geschrieben:@bluemoon:
Das mag eventuell Deine Diagnose mit entsprechenden Merkmalen sein, meine sicher nicht. Obwohl ich vorher die Diagnose SPS hatte.
Genau DA liegt doch der Unterschied.


Das war nur ganz einfach die Kodierung, die man erhält, wenn man die Kriterien für eine mittelschwere SPS gemäß ICD 10 im aktuellen System eingibt. (Da die Merkmale im ICD 11 wieder nicht quantifizierbar sind und Facetten ganz fehlen, ist der Informationsgehalt nach wie vor sehr beschränkt.)

Immerhin beantwortet es die Frage, ob SPS in der ICD-11 enthalten ist: Ja und sie hat nun einen Code, der aus 3 Teilen besteht.
(Zwischenzeitlich gab es ja auch Diskussionen, SPS gar nicht mehr als Störung zu werten. Das hätte dann vermutlich Auswirkungen auf die Kostenübernahme der Krankenkassen für Therapien gehabt.)

Darüber hinaus kann ich nun natürlich auch noch zusätzliche Domänen als relevant angeben. Eine SPS+ sozusagen.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon Chrisp » 20. Juli 2022, 10:20

@bluemoon:
Wenn Du gern an der SPS festhalten willst, dann werde ich nicht gegen Deinen Willen/Wunsch argumentieren. Wenn es Dir wichtig ist, dass es DIE SPS weiterhin und nun also auch DEN Schizoiden gibt, wird das Gründe haben, die bei mir eben nicht vorliegen. Was Dir wichtig ist, soll Dir gern wichtig bleiben.
Wenn Du also auf Deinem "Apfelkuchen" (SPS) bestehst, der nun keine eigene Kategorie mehr bildet, sondern unter Kuchen mit (auch verschiedenen) Früchten/Obst (PS) geführt wird, lass ihn Dir schmecken. Denn ja, es gibt Kuchen, der (theoretisch) nur, ausschließlich mit Äpfeln belegt ist.
[Wäre dann aber nicht gar eine SPS mit einem Merkmal Distanziertheit ODER Negative Affektivität ausreichend für eine SPS nach Deiner Definition? Ein Code aus nur zwei Teilen. Aber welcher von Beiden ist nun DIE SPS?]

ICH werde FÜR MICH in Ruhe schauen, mit welchen Früchten/Obst ich MEINEN Kuchen belegen werde. DAS ist der Vorteil des ICD 11 für MICH. Ist MIR lieber als (von Fremden) vorgesetzter Apfelkuchen, den ich schlucken soll.

Mir scheint es in dieser Diskussionen nicht mehr darum zu gehen, zu klären, was sich wie im ICD 11 geändert hat, sondern darum, wer denn nun "Recht" hat. Dieser Diskussion entziehe ich mich, denn darum geht es mir nicht.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon ursus » 20. Juli 2022, 13:59

bluemoon hat geschrieben:Immerhin beantwortet es die Frage, ob SPS in der ICD-11 enthalten ist: Ja und sie hat nun einen Code, der aus 3 Teilen besteht.
(Zwischenzeitlich gab es ja auch Diskussionen, SPS gar nicht mehr als Störung zu werten. Das hätte dann vermutlich Auswirkungen auf die Kostenübernahme der Krankenkassen für Therapien gehabt.)

Sehe ich nicht so. Es ist ein ganz anderes Modell, eine ganz andere Art über Persönlichkeitsstörungen nachzudenken. Die ICD 10 postuliert unter F60.1 z.B. mindestens vier Eigenschaften oder Verhaltensweisen aus einem Katalog von insgesamt 9 Eigenschaften, von denen ja nur zwei in deiner ICD 11 Kodierung “6D10.1/6D11.0/6D11.1” enthalten sind. Es gibt also Überschneidungen, aber auch (zumindest theoretisch) Betroffene, die in einem System F60.1 kodiert sind, aber nicht der Kombination 6D10.1/6D11.0/6D11.1 entsprechen, und umgekehrt.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon bluemoon » 21. Juli 2022, 09:18

ursus hat geschrieben: Die ICD 10 postuliert unter F60.1 z.B. mindestens vier Eigenschaften oder Verhaltensweisen aus einem Katalog von insgesamt 9 Eigenschaften, von denen ja nur zwei in deiner ICD 11 Kodierung “6D10.1/6D11.0/6D11.1” enthalten sind.


Da habe ich nun wieder eine Verständnisfrage. Welche der 9 Kriterien sind für dich denn nicht den Domänen 6D11.0 und 6d11.1 zuzuordnen?

6D11.0 negative Affektivität
Das Hauptmerkmal des Merkmalsbereichs negative Affektivität ist die Tendenz, ein breites Spektrum an negativen Emotionen zu erleben. Zu den häufigen Erscheinungsformen der negativen Affektivität, die bei einer bestimmten Person nicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden sein müssen, gehören: Das Erleben eines breiten Spektrums negativer Emotionen mit einer Häufigkeit und Intensität, die in keinem Verhältnis zur Situation stehen, emotionale Labilität und schlechte Emotionsregulation, negativistische Einstellungen, geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sowie Misstrauen.


6D11.1 Distanziertheit
Das Kernmerkmal des Merkmalsbereichs "Abgeklärtheit" ist die Tendenz, zwischenmenschliche Distanz (soziale Abgeklärtheit) und emotionale Distanz (emotionale Abgeklärtheit) zu wahren. Zu den häufigen Ausprägungen der Losgelöstheit, die bei einem bestimmten Individuum nicht in allen Fällen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden sein müssen, gehören: Soziale Losgelöstheit (Vermeidung sozialer Interaktionen, Mangel an Freundschaften und Vermeidung von Intimität) und emotionale Losgelöstheit (Zurückhaltung, Unnahbarkeit und eingeschränkter emotionaler Ausdruck und Erfahrung).


F60.1 Schizoide Persönlichkeitsstörung
Eine Persönlichkeitsstörung, die durch einen Rückzug von affektiven, sozialen und anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantasie, einzelgängerisches Verhalten und in sich gekehrte Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Es besteht nur ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu erleben.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon Chrisp » 21. Juli 2022, 13:10

(Verständnis-)Fragen können geklärt werden:

Auf Deine Frage würde ich spontan antworten: Die DIAGNOSE-Merkmale: "Introspektion" und "Mangelndes Gespür für soziale Normen und Konventionen" nach ICD 10 z.B.
Nach ICD 10: best. Anzahl von Diagnose-Merkmalen = spezifische PS.

Doch sind die 5 Qualifizierungsmerkmale, wovon Du hier zwei aufgeführt hast, eben KEINE diagnostischen Kriterien mehr.
6D11.0 + 6D.11.1 NICHT = Schizoide PS. (Auch keine PS)

Diese Domänen sind NICHT mit den 9 (oder anderen) Diagnose-Merkmalen ehemaliger spezifischer PS gleich zusetzen ( = ).
Die 5 Domänen KÖNNEN zusätzlich angebracht werden, um die Haupt (prominenten) Merkmale & in Abstufung die weiteren Merkmale der Diagnose PS (individuell) BESCHREIBEND zu ergänzen. Sie dienen der Qualifizierung der INDIVIDUELLEN Schwierigkeiten/Probleme/Problembereiche in Bezug auf Selbstfunktionsniveau + Interpersonelles Funktionsmuster.

Demnach kann wie ursus einmal dargestellt hat, jeder (ehemals) Schizoide sich als "geheilt" ansehen, wenn er sein Selbstfunktionsniveau nicht als gestört (therapiebedürftig) empfindet. Aber nicht, weil er keine SPS (nach ICD 11) hat, sondern, weil er gar keine PS nach ICD 11 hat. Nach ICD 10 hat er dennoch eine SPS.


"Beschreibung
Qualifizierende Merkmalsbereiche können auf Persönlichkeitsstörungen angewandt werden, um die Merkmale der Persönlichkeit einer Person zu beschreiben, die am stärksten ausgeprägt sind und zur Persönlichkeitsstörung beitragen. Die Merkmalsbereiche sind durchgängig als normale Persönlichkeitsmerkmale bei Personen, die keine Persönlichkeitsstörung oder Persönlichkeitsstörung haben [anwendbar] * . Merkmalsbereiche sind keine diagnostischen Kategorien, sondern stellen vielmehr eine Reihe von Dimensionen dar, die der zugrunde liegenden Struktur der Persönlichkeit entsprechen."

* Englisch m.E. besser erklärt: "Trait domains are continuous with normal personality characteristics in individuals who do not have Personality Disorder or Personality Difficulty."

Eine best. Persönlichkeitsstruktur ist NICHT mehr krankhaft, kann aber eine PS begünstigen.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon bluemoon » 21. Juli 2022, 14:52

Chrisp hat geschrieben:(Verständnis-)Fragen können geklärt werden:

Auf Deine Frage würde ich spontan antworten: Die DIAGNOSE-Merkmale: "Introspektion" und "Mangelndes Gespür für soziale Normen und Konventionen" nach ICD 10 z.B.


Ok, also ich würde Introspektion und mangendes Gespür für soziale Normen eindeutig der Distanziertheit zuordnen. Das ist natürlich nur meine persönliche Einschätzung.

Weitere Verständnisfragen habe ich allerdings zu:

Chrisp hat geschrieben: Nach ICD 10: best. Anzahl von Diagnose-Merkmalen = spezifische PS."


Das liest sich für mich, als ob die Diagnose von der ICD 10 vorgegeben wäre. Ich habe das immer so verstanden, das die ICD (in Deutschland) zur Kodierung einer bereits erfolgten Diagnose zur Abrechnung und zu Statistikzwecken dient. In der zugehörigen Anleitung findet sich die folgende Formulierung:

Das Gesetz verlangt sowohl im Rahmen der ambulanten als auch der stationären Versorgung die Verschlüsselung von Diagnosen auf Abrechnungsunterlagen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (siehe §§ 295 und 301 SGB V), keinesfalls jedoch die Verschlüsselung auf Überweisungen, Krankenhauseinweisungen, Arztbriefen oder gar in der eigenen Patientendokumentation. Da bei der Verschlüsselung immer Informationen verdichtet werden und Einzelheiten verloren gehen, muss bei solchen Unterlagen stets der Klartext verwendet werden; aus Kollegialität kann natürlich zusätzlich zur Klartextangabe die ICD-Schlüsselnummer angegeben werden.



Zur Bestimmung, ob eine PS überhaupt vorliegt ist in der ICD-10 folgendes zu finden:

F60.- Spezifische Persönlichkeitsstörungen
Es handelt sich um schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens der betroffenen Person, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder -krankheit oder auf eine andere psychiatrische Störung zurückzuführen sind. Sie erfassen verschiedene Persönlichkeitsbereiche und gehen beinahe immer mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher. Persönlichkeitsstörungen treten meist in der Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter.


Dem entspricht in der ICD-11 nach meinem Verständnis die Beschreibung:

6D10 Persönlichkeitsstörung
Eine Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch Probleme in der Funktionsweise von Aspekten des Selbst (z. B. Identität, Selbstwert, Genauigkeit der Selbsteinschätzung, Selbststeuerung) und/oder zwischenmenschliche Störungen (z. B. die Fähigkeit, enge und für beide Seiten befriedigende Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, die Fähigkeit, die Sichtweise anderer zu verstehen und mit Konflikten in Beziehungen umzugehen), die über einen längeren Zeitraum (z. B. zwei Jahre oder länger) bestehen. Die Störung äußert sich in maladaptiven (z. B. unflexiblen oder schlecht regulierten) Mustern der Kognition, des emotionalen Erlebens, des emotionalen Ausdrucks und des Verhaltens und zeigt sich in einer Reihe von persönlichen und sozialen Situationen (d. h. sie ist nicht auf bestimmte Beziehungen oder soziale Rollen beschränkt). Die Verhaltensmuster, die die Störung charakterisieren, sind entwicklungsmäßig nicht angemessen und können nicht in erster Linie durch soziale oder kulturelle Faktoren, einschließlich sozialpolitischer Konflikte, erklärt werden. Die Störung ist mit erheblichem Stress oder einer signifikanten Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verbunden.


Meine Sicht der Dinge ist zusammengefasst: Auf die eigentliche Diagnose sollte das anschließend angewendete Kodierverfahren keinen Einfluss haben. Die Anforderungen an die Kodierbarkeit einer PS scheinen mir in der neuen Fassung eher weiter gefasst zu sein. (Ergänzung: Also die Schwelle ist niedriger und es ist einfacher eine Behandlung abzurechnen.) Es bleibt aber nach wie vor ein Schubladensystem. Alle SPS Diagnosen, die nach dem alten System als PS kodiert werden konnten, sollten auch im neuen System als PS kodierbar sein.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon Chrisp » 21. Juli 2022, 16:25

Auf Verständnisfragen lasse ich mich gern ein.

bluemoon:"Das liest sich für mich, als ob die Diagnose von der ICD 10 vorgegeben wäre."


JA. Im Prinzip war das auch genau so:
Es gab Diagnosemerkmale und wenn eine bestimmte Anzahl davon zutraf war es nicht eine, sondern eine bestimmte PS.
Ob ich "Schizoide PS" ausschreibe oder in F.60.1 codiere, nimmt sich nichts, für Beides gilt die gleiche Definition, an Hand der DIAGNOSE-Merkmale.
PS mussten vorher (ICD 10) in eine Kategorie passen. Passten sie in keine bestimmte MUSSTE entweder: "F.61 Kombinierte u.a. PS" oder "F.60.9 PS, nicht näher bezeichnet" angegeben werden.
Die ehemals F.60.9 (eine schwere Störung per Definition PS) ist quasi die PS (6D10) im ICD 11 und wird dort aber in drei Stufen angegeben: leicht, mittel, schwer.

DOCH: Ob eine PS (F.60.9 oder 6D10) überhaupt vorliegt, hat sich geändert.
Die entscheidende Änderung ist, dass im ICD 11 nun das:
a) Selbstfunktionsniveau (Identität, Selbstwert, Selbstreflexion, Selbststeuerung)
UND
b) Interpersonelle Funktionsmuster (Interesse an Bezhg., Empathie, Fähigkeit zur Intimität, Konfliktfähigkeit)

länger als 2 Jahre "dysfunktional" sein müssen und diese "Dysfunktionalität" muss den ausführlichen Beschreibungen (die Du zitiert hast) entsprechen.

Bedeutet (ich nehme jetzt einmal mein Beispiel zur Anschaulichkeit), dass ich nun (wahrscheinlich) keine PS mehr habe, weil die "Komplexe PTBS" als eigenes Krankheitsbild festgeschrieben wurde. (Im ICD 10 als F62.0: Andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung). Ich habe also keine PS (Persönlichkeitsveränderung), sondern meine Symptome, Merkmale usw. sind in der "Komplexen PTBS" zusammen gefasst. Eine BPS steht in großem Zusammenhang mit der PTBS, aber eine Traumatisierung hat nicht zwangsläufig eine BPS zur Folge. Ich habe keine.
UND nicht jede PS ist auf eine PTBS zurückzuführen, daher gibt es weiterhin die PS, die eben nicht Folge traumatischer Ereignisse ist, sondern deren Ursache -noch nicht- geklärt ist. Sich "unabhängig" traumatischer Ereignisse entwickelt (aber eine ähnliche Beschreibung) hat.

So können Du und ich laut ICD 10 beide eine "schizoide PS" diagnostiziert bekommen, aber im ICD 11 habe ich eine Komplexe PTBS und Du eine PS mit bestimmten individuellen Merkmalen (die den Diagnosemerkmalen des ICD 10 ähneln können).
Für die Abrechnung (Codierung) reicht (bei Dir) aber: 6D.10 (plus Schweregrad), denn nur das ist eine Diagnose.
Bei mir: 6B41
Für statistische Zwecke wird es wahrscheinlich irgendwann Diagnose(n) & Ketten von Postcodes geben.

bluemoon:" Auf die eigentliche Diagnose sollte das anschließend angewendete Kodierverfahren keinen Einfluss haben."

Hatte es (wie oben aufgezeigt) nicht und hat es auch künftig nicht. Eine Diagnose wurde/wird nach bestimmten Kriterien erstellt. Sie kann codiert werden und muss es bei best. Umständen (Arbeitgeberbescheinigung).

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon bluemoon » 22. Juli 2022, 11:06

Es gab Diagnosemerkmale und wenn eine bestimmte Anzahl davon zutraf war es nicht eine, sondern eine bestimmte PS.
Ob ich "Schizoide PS" ausschreibe oder in F.60.1 codiere, nimmt sich nichts, für Beides gilt die gleiche Definition, an Hand der DIAGNOSE-Merkmale.


Ich hab da einfach eine andere Vorstellung von der vom Begriff "Diagnose". Die Diagnose sollte meinen Status und meine Probleme treffend beschreiben. Ob sich das dann später einer oder mehreren Schubladen in einer Klassifizierung zuordnen lässt, ist erstmal unwichtig. Das sieht natürlich anders aus, wenn ich z. B. eine Rente, oder die Abrechenbarkeit spezielle Therapien begründen muss. Da sind in Deutschland dann tatsächlich die ICD-10 Kriterien bedeutsam.

DOCH: Ob eine PS (F.60.9 oder 6D10) überhaupt vorliegt, hat sich geändert.
Die entscheidende Änderung ist, dass im ICD 11 nun das:
a) Selbstfunktionsniveau (Identität, Selbstwert, Selbstreflexion, Selbststeuerung)
UND
b) Interpersonelle Funktionsmuster (Interesse an Bezhg., Empathie, Fähigkeit zur Intimität, Konfliktfähigkeit)

länger als 2 Jahre "dysfunktional" sein müssen und diese "Dysfunktionalität" muss den ausführlichen Beschreibungen (die Du zitiert hast) entsprechen.


Nach meinen Verständnis müssen solche Muster in der ICD-10 (wie auch in vielen anderen Definitionen) bei einer PS nicht nur 2 Jahre sondern mindestens seit dem jungen Erwachsenensalter stabil vorhanden sein und zu deutlichen Beeinträchtigungen führen.

ICD-10:
G2. Abweichung: so ausgeprägt, dass daraus
resultierendes Verhalten in vielen persönlichen und
sozialen Situationen unflexibel, unangepasst,
unzweckmäßig ist
G3. Abweichung: persönlicher Leidensdruck oder
nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt
G4. Abweichung: stabil, von langer Dauer ist und
begonnen in spätem Kindesalter oder Adoleszenz


Ich hab hier mal den Link dazu. (Insbesondere finde ich dabei das Kapitel "Allgemeine Kriterien und Diagnostik" interessant. Da wird das Thema erst mal unabhängig von Klassifikationssystemen behandelt und anschließend mit der Abbildung in den gängigen Systemen verglichen.)

https://www.uke.de/dateien/kliniken/psy ... rungen.pdf

Da ist die neue Formulierung in der ICD-11 nun doch wesentlich aufgeweichter, wenn man nur noch 2 Jahre belegen muss und gleichzeitig auch leichte Beeinträchtigungen reichen.

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Re: SPS in der kommenden ICD-11 nicht mehr enthalten?

Beitragvon Chrisp » 22. Juli 2022, 15:26

bluemoon:"Ich hab da einfach eine andere Vorstellung von der vom Begriff "Diagnose". Die Diagnose sollte meinen Status und meine Probleme treffend beschreiben. Ob sich das dann später einer oder mehreren Schubladen in einer Klassifizierung zuordnen lässt, ist erstmal unwichtig."


Diagnosen müssen von (Fach-) Ärzten gestellt werden, um (von Krankenkassen, Institutionen) anerkannt zu werden. Diese Anerkennung beruht auf festgelegten Standards. Es kann also durchaus auch ein Heilpraktiker oder irgendwer anders eine Diagnose stellen, die vielleicht zutreffend ist, aber dennoch nicht anerkannt wird, weil der, der sie stellt nicht "anerkannt" ist. Ein anerkannter Arzt kann eine Diagnose stellen, ABER ist die Diagnose nicht nach bestimmten Standards/Kriterien bestimmt, wird die Diagnose ebenfalls nicht anerkannt.
Sollte jemand seine Behandlung selber zahlen, kann irgendwer, irgendwelche Diagnosen stellen (wird sie aber wohl nicht nach ICD codieren können)
Der Arzt wird seiner Diagnose immer auch persönliche Anmerkungen (in seiner Patientenakte) zufügen, die das gesamte Bild ausführlicher beschreiben. Doch ging es hier um das ICD also um die anerkannten Verfahren, Diagnosen (von Fach-Ärzten), die im ICD verschlüsselt werden.

Dennoch sind diese Diagnosen auch im ICD immer weiter aus-geführt worden.
Es gibt Oberbegriffe (Schilddrüsenfehlfunktion) und Unterkategorien (Hashimoto), so dass sich Diagnosen, die sonst lange ausgeschrieben werden müssen, verdichten lassen in einem Code. Dieser dient ja nicht nur Abrechnungs- und statistischen Zwecken, sondern soll auch Sprachbarrieren beheben. Unter 5A03.20 wird jeder Arzt auf der Welt herauslesen können, dass die Diagnose: "Hashimoto-Thyreoiditis" und den damit verbundenen Symptomen/Merkmalen usw. gestellt wurde. Eine Diagnose ist immer eine verdichtete Form(alie), keine persönliche Beschreibung.
Dementsprechend wird keine Diagnose Deinen individuellen Status und Deine individuellen Probleme treffend beschreiben. Sondern immer eine "Kurzform" davon sein, die auch auf andere Menschen zutrifft. Deine individuellen "Probleme" , die die Diagnose betreffen, befinden sich in den ausführlichen Beschreibungen des Arztes. (Patientenakte oder ausführlicher Arztbericht an einen anderen Arzt, in Form von Wertetabellen, Laborwerte, Befunde, Röntgenbilder etc). Eine Diagnose ist eine Kurzform dieser gesammelten Daten unter einem Begriff und/oder als ICD Code.
Deine Vorstellung einer Diagnose ist also nicht ganz der Definition - einer anerkannten !!- Diagnose entsprechend, vielleicht eher der Diagnostik (dem Verfahren zur Diagnosefindung) zuzuordnen.

Psychische Störungen und Persönlichkeitsstörungen hatten und haben eine "besondere" Stellung im ICD als auch in der Diagnostik. Begründung kann man sich denken.
Das ICD 11 versucht dem Anspruch gerecht(er) zu werden, dass es sich um eine dimensionale Festlegung (daher die drei Stufen) handelt.
Platt gesagt: Eigentlich gibt es nicht DIE Schwelle, DEN entscheidenden Wert, DAS (eine oder mehrere) entscheidende Kriterium ab wann eine PS als genau das nämlich eine PS erkannt werden oder als Diagnose gestellt werden kann.
Dennoch gibt es diese klare Abgrenzung weiterhin im ICD 11: PS ja/nein. (Abrechnung, Krankenkasse etc. Ohne anerkannte Diagnose keine Kostenübernahme)
Diese Lösung ist sicher auch nicht die "Beste".

Das "Aufweichen" des ICD 10 :
bluemoon:" G4. Abweichung: stabil, von langer Dauer ist und
begonnen in spätem Kindesalter oder Adoleszenz"

in
ICD 11: Basismerkmal länger als 2 Jahre
soll unterstreichen, dass PS NICHT im Kindesalter beginnen (müssen), NICHT "stabil" sind -also nicht immer waren, sind und bleiben...

ist dem geschuldet, dass FRÜHER davon ausgegangen wurde, dass PS immer auf "Persönlichkeitsentwicklungsstörungen" (also immer auch in der Kindheit vorlagen) zurück zu führen und unveränderlich sein, man sie quasi ein Leben lang (gleich stark) hätte.

Die Forschung der letzten Jahre hat deutlich gezeigt, dass dem NICHT so ist, daher die Änderung im ICD 11.


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