Vorstellung

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davyditsch
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Vorstellung

Beitragvon davyditsch » 23. Februar 2023, 21:32

Hallo allerseits,

auch ich gehöre zur Gruppe derjenigen, die nicht formal diagnostiziert wurden, aber sich doch in den Symptomen der SPS wiederfinden. Ich hoffe mal, dass dieser Beitrag nicht zu lang ist, aber außer dem Moderator, der ihn freigeben muss, ist ja niemand gezwungen ihn zu lesen ;) Und ich denke es ist auch für mich selbst hilfreich, das alles einmal auszuformulieren.

Meine Probleme fingen in der Unterstufe an: Ich wurde mit der Zeit immer weniger gesellig. Das hatte vermutlich damit zu tun, dass unsere Klassen in jedem Schuljahr neu zusammengestellt wurden (abhängig von Wahlpflichtfächern, z.B. 2. Fremdsprache). Außerdem haben sich meine Eltern getrennt, was mich ebenfalls belastet hat. Das führte dann zu dem Teufelskreis, den viele von euch sicher auch kennen: Meine geringere Geselligkeit führte zu schlechteren sozialen Kompetenzen und das wiederum zu weniger Geselligkeit, etc.

Ab der zehnten Klasse wurde es dann etwas besser, weil ich da mittlerweile die meisten Leute aus meiner Jahrgangsstufe zumindest flüchtig kannte. Hatte sogar einen kleinen, stabilen Freundeskreis in der Schule, mit den ich die Pausen verbringen konnte, ohne mich irgendwie gestresst zu fühlen.
Während der elften und zwölften Klasse hatte ich meine erste Beziehung mit einer temperamentvollen und (wie sich herausstellte) depressiven jungen Frau. Will nicht auf die Details eingehen, aber es gab viele schmerzhafte Momente und ich war danach etwa sieben
Jahre gebraucht, bevor ich mich auf eine Beziehung einlassen konnte bzw. jemand sich auf mich einlassen konnte.

Nach dem Abitur habe ich zwar weiterhin bei meiner Mutter gelebt, musste mich aber natürlich trotzdem wieder in ein neues soziales Umfeld integrieren. Habe mich damals für ein technisches Fach entschieden. Wusste eigentlich nicht wirklich, was ich studieren soll, habe mir aber einreden lassen, dass man als Ingenieur zumindest gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat.
Von den Noten her lief das Studium ziemlich gut, habe dann nach ein paar Jahren mit nem Schnitt von 1,7 abgebrochen. Die ersten drei Semester liefen auch aus sozialer Sicht relativ gut für mich meine Verhältnisse.

Das vierte Semester habe ich dann im Ausland gemacht. Das war als Austausch angelegt, sodass ich bei einer Gastfamilie wohnte. Diese Monate waren für ich ein Wendepunkt.
Die Familie war zwar sehr gastfreundlich und auch sonst tadellos, aber ich habe zum ersten Mal so richtig gemerkt, dass ich nach sozialen Aktivitäten Ruhepausen brauche; selbst wenn es nur Alltagsgespräche sind. Obwohl ich dort ein eigenes Zimmer hatte, in das ich mich zurückziehen konnte, wurde die Belastung immer größer für mich, sodass ich meine ersten depressiven Episoden bekam. Habe das natürlich für mich behalten; ich war auch sonst nicht für meine Gesprächigkeit bekannt und die meisten haben wohl auch nicht bemerkt, dass irgendwas mit mir ist. War mir irgendwie auch recht.
Nach einiger Zeit habe ich dann eingesehen, dass ich ein Problem habe und das irgendwie angehen muss. Zunächst musste ich herausfinden, was genau mit mir los ist. Habe im Internet recherchiert und viel zu psychischen Störungen gelesen. Mir war bewusst, dass das kein erfolgversprechender Ansatz war, aber als ich dann auf die schizoide Persönlichkeitsstörung gestoßen bin und mich im Krankheitsbild wiedergefunden habe, war ich doch froh, dass ich zumindest einen Namen für das Problem hatte; egal, ob es jetzt tatsächlich diese (oder überhaupt eine) Störung ist.

Das Auslandssemester habe ich einigermaßen überstanden und habe dann in Deutschland weiterstudiert. Da ich an meiner Hochschule das vierte Semester ausgelassen und im dritten Semester nicht alle Prüfungen abgelegt hatte, bin ich wieder ins dritte eingestiegen und hatte entsprechend wieder neue Kommilitonen. Auch das war belastend für mich und ich hatte dann ca. einmal im Monat eine einwöchige depressive Episode. Deren Intensität nahm immer weiter zu, hatte auch schon Selbstmordgedanken. Der absolute Tiefpunkt war etwa ein halbes Jahr nach meiner Rückkehr aus dem Ausland. Da habe ich mental schon vom Leben verabschiedet, aber irgendwie habe ich diese Phase dann doch ausgehalten.

Nach dieser Phase habe ich den Entschluss gefasst, dass ich mein Leben kardinal ändern muss.
Das Studium habe ich abgebrochen, um ein nach einem Jahr Pause in ein geisteswissenschaftliches Fach zu wechseln. Der Studienort war nicht zufällig am anderen Ende des Landes; so konnte ich für mich sein, weit weg von meiner Familie, an der ich zwar wenig auszusetzen habe, die mich aber trotzdem belastet.

Diese Entscheidung hat sich als richtig erwiesen. Auch wenn nicht immer alles hundertprozentig glatt läuft, konnte ich meine Depression überwinden und bin immerhin ein bisschen kommunikativer geworden. Außerdem bin ich seit mehreren Jahren in einer Beziehung und werde in etwa einem Jahr einen Masterabschluss haben.

Was mir noch Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass ich nun bald ins Arbeitsleben einsteigen muss. Ich bin auch weiterhin nicht der geselligste und muss nach meinen (seltenen) sozialen Aktivitäten weiterhin Ruhepausen einlegen. Andererseits, wenn ich mir diese Kurzfassung meiner Biografie so ansehe, dass ich mein doch tendenziell zum Besseren wandelt und meine Zukunft vielleicht noch weitere positive Überraschungen bereithält.

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Re: Vorstellung

Beitragvon orinoco » 24. Februar 2023, 12:01

Hallo und willkommen erst mal davyditsch.

Moribuntur

sagte der Arzt schließlich auf die wiederholte Frage des mit einer unbekannten Krankheit todkranken Patienten welche Krankheit er habe. Seine Kollegen nickten und der Patient war so glücklich, dass seine Krankheit einen Namen hatte, dass er wieder gesund wurde. Dabei hatte der Arzt nur gesagt "er wird sterben", nur eben auf Latein. Ob wirklich so geschehen oder nur gut ausgedacht, trifft es doch den Umstand, dass es häufig eine Erleichterung für den Patienten ist, wenn die Krankheit einen Namen hat.

Ich will dir aber auch nicht verheimlichen, dass deine von dir identifizierte "Krankheit" vielleicht gar keine ist, sondern nur die psychisch normale Reaktion auf unnormale Umstände. Und dass eher der der Begriff "komplexe posttraumatische Belastungsstörung" zutreffend ist und die "schizoide Persönlichkeitsstörung" die kompensatorische Reaktion auf eine höchstwahrscheinlich frühkindliche Traumatisierung ist.
Ob und wie dem so ist, ist immer eine Detektivarbeit in der eigenen Biographie, wozu man aber erst mal verstanden haben muss wie eine normale Hirnentwicklung in der frühen Kindheit abläuft und was bei einer frühkindliche Traumatisierung schief läuft. In meinem Blog wird das ausführlich erklärt.
Zentral ist immer wieder, die auch von dir erwähnte eigene Mutter bzw. die emotionale Beziehung zu ihr
(warm? kühl? distanziert? klammernd? vernachlässigend? viel oder wenig Körperkontakt?) oder für ein Kleinkind traumatische Ereignisse im Alter zwischen ca. 1½ und 3 Jahren z.B. Mutter geht wieder Vollzeit arbeiten, Krankenhaus- oder Pflegeheimaufenthalte sowohl von Mutter oder Kind, depressive Phasen der Mutter u.v.m. Das kann natürlich auch noch eher unangenehme Überraschungen bereiten, aber dann weiß man wirklich was mit einem los ist und genau dann kann man angemessen und (selbst-)wirksam handeln, was schon allein der Psyche gut tut.

Viele Grüsse
Orinoco
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Re: Vorstellung

Beitragvon davyditsch » 24. Februar 2023, 17:07

Hallo orinoco,

danke für die Antwort und dafür, dass du eine neue Perspektive mit eingebracht hast. Mein Blick war immer stark auf Persönlichkeitsstörungen fokussiert. Die Bezeichnung "komplexe posttraumatische Belastungsstörung" klingt erstmal so, als sie viele verschiedene Ursachen und viele verschiedene Ausprägungen haben kann. Werde aber auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, dass ich mit der schizoide nicht allzu sicher sein sollte.

Du hast sicher Recht damit, dass die frühe Kindheit relevant ist. Das Verhältnis zu meiner Mutter würde ich heute als kühl beschreiben. Ich sehe sie vor allem als Person, die mit mir in einem Verwandtschaftsverhältnis steht und die sich dafür interessiert, was bei mir so läuft. Wie das Verhältnis im Alter von 1,5 und 3 Jahren war, weiß ich ehrlichgesagt nicht, aber im Kindergarten- und Grundschulalter war es wohl v.a. durch Angst geprägt, da meine Eltern in der Erziehung gerne zum Gürtel gegriffen haben. War jetzt nicht brutal und es gibt sicher Menschen, die es schlimmer hatten als ich, aber zu einem warmen Verhältnis hat das natürlich nicht beigetragen.

Daher auch danke für deinen Hinweis auf die frühe Kindheit. Das sollte ich bei meiner Detektivarbeit mehr berücksichtigen :)

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Re: Vorstellung

Beitragvon 2ost » 24. Februar 2023, 17:23

Auch von mir ein freundliches hallo, davyditsch.
orinoco hat geschrieben:Moribuntur sagte der Arzt schließlich auf die wiederholte Frage des mit einer unbekannten Krankheit todkranken Patienten welche Krankheit er habe. Seine Kollegen nickten und der Patient war so glücklich, dass seine Krankheit einen Namen hatte, dass er wieder gesund wurde. Dabei hatte der Arzt nur gesagt "er wird sterben", nur eben auf Latein.
Das ist von Foucault, oder? :verwirrt:

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Re: Vorstellung

Beitragvon orinoco » 24. Februar 2023, 19:40

2ost hat geschrieben:Auch von mir ein freundliches hallo, davyditsch.
orinoco hat geschrieben:Moribuntur sagte der Arzt schließlich auf die wiederholte Frage des mit einer unbekannten Krankheit todkranken Patienten welche Krankheit er habe. Seine Kollegen nickten und der Patient war so glücklich, dass seine Krankheit einen Namen hatte, dass er wieder gesund wurde. Dabei hatte der Arzt nur gesagt "er wird sterben", nur eben auf Latein.
Das ist von Foucault, oder? :verwirrt:

Puhh ... möglich ... es ist jedenfalls in einschlägigen Gedankenwelten wie von Viktor E. Frankl, Paul Watzlawick, Heinz v. Foerster, Bernhard Ludwig, (sicher kein Zufall, dass alle mit österreichischen Wurzeln) so etwas wie ein Bonmot.
davyditsch hat geschrieben:danke für die Antwort und dafür, dass du eine neue Perspektive mit eingebracht hast. Mein Blick war immer stark auf Persönlichkeitsstörungen fokussiert. Die Bezeichnung "komplexe posttraumatische Belastungsstörung" klingt erstmal so, als sie viele verschiedene Ursachen und viele verschiedene Ausprägungen haben kann. ...

Das "komplex" bezieht sich eher auf die Abgrenzung zur "klassischen" PTBS durch "große" Traumata wie Kriegserlebnisse, Folter, Vergewaltigung, schwere Unfälle, Katastrophenerfahrung etc. die eben sogar psychisch stabilen Menschen massiv zusetzen. Bei der komplexen PTBS sind es die "verdeckten" Traumata, wo sich zum einen die genaue Ursache und deren Auswirkung nur schwer oder nur indirekt ermitteln lässt, zum anderen die Kompensationen, das was als "Krankheit" auffällig wird, extrem vielfältig sind, dass man nur schwer auf eine allen gemeine Ursache kommt. Auch zeitlich ist der Zusammenhang "komplex": wer 50 Jahre später Krebs bekommt, für den ist eine frühkindliche Traumatisierung alles andere als naheliegend bei der Frage "Warum ich?" (vor allem wenn keine "üblichen Verdächtigen" wie Rauchen, Alkohol, schlechte Ernährung, Übergewicht etc. in Frage kommen)
davyditsch hat geschrieben:Du hast sicher Recht damit, dass die frühe Kindheit relevant ist. Das Verhältnis zu meiner Mutter würde ich heute als kühl beschreiben. Ich sehe sie vor allem als Person, die mit mir in einem Verwandtschaftsverhältnis steht und die sich dafür interessiert, was bei mir so läuft. Wie das Verhältnis im Alter von 1,5 und 3 Jahren war, weiß ich ehrlichgesagt nicht, aber im Kindergarten- und Grundschulalter war es wohl v.a. durch Angst geprägt, da meine Eltern in der Erziehung gerne zum Gürtel gegriffen haben. War jetzt nicht brutal und es gibt sicher Menschen, die es schlimmer hatten als ich, aber zu einem warmen Verhältnis hat das natürlich nicht beigetragen.

Dass man an die relevante Zeit keine Erinnerung hat ist hirnentwicklungsmäßig normal und eben genau das Problem: Jeder Mensch hat diese Phase der "emotionalen Geburt" durchgemacht, aber keiner kann sich daran erinnern. Aber man kann aus dem Verhältnis zur primären Bezugsperson i.d.R. die Mutter quasi Rückschlüsse ziehen. Wenn man es später wo man Erinnerung hat eher kühl war, dann war es vorher wo man keine Erinnerung hat wahrscheinlich auch schon so. Dass dann später Angst die dominierende Emotion war, ist bei jemandem der frühkindlich traumatisiert ist auch "normal", denn die emotionale Autoregulation wurde ja aufgrund der Traumatisierung bzw. weil die Mutter eben emotional eine schlechte Lehrmeisterin war, nicht oder nur schlecht erlernt. Auch hier wieder komplexe Ursachen: emotional kühl nicht gut, temporär abwesend nicht gut, vernachlässigend nicht gut, klammernd nicht gut, überbemuttern (Helikoptereltern) nicht gut, Zwist in der Partnerschaft nicht gut (eine Scheidung hat meist eine lange Vorgeschichte), Eifersucht des Kleinkindes auf jüngere Geschwister nicht gut, Mutterroutine bei Nachgeborenen nicht gut u.v.m.
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