Guten Morgen allerseits

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MissTake
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Guten Morgen allerseits

Beitragvon MissTake » 26. Juni 2022, 07:32

Hallo zusammen,

nachdem mein Therapeut mir gegenüber eine Vermutung äußerte dahingehend, dass eine SPS bei mir vorliegen könnte, fing ich an zu recherchieren und bin nun auf dieses Forum gestoßen. Mich selber hat seine Vermutung ziemlich schockiert, nachdem ich ein paar Dinge dazu gelesen habe. Aber so ungern ich das akzeptiere, so erkenne ich doch auch leider, dass vieles auf mich zutrifft. Also werde ich lernen müssen, das Beste draus zu machen, da ich nicht so schnell aufgebe. Außerdem möchte ich meinem Sohn eine gute Mutter sein.

Zu mir - 47 Jahre, geschieden, Beamtin, im Sozialen Sektor sehr gerne tätig, Hobbymusikerin und Katzenmama. Ich entstamme einem objektiv normalen Elternhaus mit 2 älteren Geschwistern. Meine Eltern haben/hatten vermutlich beide ein unausgesprochenes Kriegstrauma, z. T. Fluchterfahrungen und waren kaum in der Lage, Emotionen zu zeigen. Gestillt wurde nach Plan, mit einem Jahr musste das Kind trocken sein, und zu laut oder gar aufmüpfig durfte man nicht sein. Insbesondere meine Mutter reagierte auf Kritik mit beleidigtem Schweigen und Beziehungsabbruch, auch mir gegenüber, und wollte nicht mal auf dem Sterbebett mit mir reden. Ich habe in den letzten Jahren außer ihr 2 enge Angehörige, quasi Zieheltern, verloren, meine Ehe ging darüber in die Brüche, weil ich meinem Ex meine "Launen" nicht mehr zumuten konnte.

Beruflich und auch so, was Haushalt und Finanzen angeht, bin ich stabil, kann relativ eigenständig arbeiten und alleine entscheiden. Dennoch arbeite ich mit Menschen, und das im beruflichen Kontext auch wirklich gerne und engagiert.

Privat ziehe ich mich zunehmend zurück. Durch die Pandemie konnte ich meinem Hobby Musik nicht mehr so nachgehen. Nachdem ich nach der Trennung zunächst aktiv gedatet habe, bin ich nun erstmal bewusst alleinlebend. Meine letzten engeren Beziehungen in den ketten 3 Jahren waren Bettgeschichten mit verheirateten Männern, die ich gern einging, um eben keine Gefühlsduselei ertragen zu müssen. Der Plan ging leider nur bedingt auf, da sich beide Männer in mich verliebten und dann doch mehr von mir wollten, also musste ich die Affären dann auch beenden. Gab viel Knatsch und tat mir für diese Männer leid, denn ich hatte von Anfang an sehr offen kommuniziert, dass mir F+ genügt und ich keine Beziehungswünsche darüber hinaus habe.

Wenn mir jemand zu nahe kommt, fühlt es sich an, als würde ich erst langsam und unbemerkt innerlich, dann irgendwann abrupt auch für mein Gegenüber spürbar, einfrieren. Man hat mir das Feedback gegeben, dass ich mich dann derart verändere, kalt und abweisend bin, dass man mich kaum wiedererkennt. Ich bin dann kurz traurig, aber mehr, weil ich meinem Gegenüber so weh tue. Eigentlich bin ich selber immer ganz erleichtert, wenn sich dann keiner mehr zu sehr in mein Leben einmischt. Aber auf Dauer macht mir das schon Sorgen. Wer will wirklich ernsthaft als Eremit alt werden? Und was für verschrobenen Mist lebe ich meinem Sohn vor?

Was mich hier interessiert, sind Eure Therapieerfahrungen - ändert sich wirklich was oder bleibt man halt so? Dann noch Themen Beziehung / Familie / Freund*innen- sollte man sich outen und so um Verständnis und Nachsicht werben? Gleiches im Job, meine Kolleg*innen sehen mich kaum in der Runde, ich bin viel für mich und arbeite lieber konzentriert, statt unqualifizierten Kaffeeklatsch zu halten. Sollte ich mich den Kolleg*innen gegenüber offenbaren, dass ich das nicht böse meine oder ist das eher kontraproduktiv?

Liebe Grüße, MissTake

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon sdsdsdsv » 26. Juni 2022, 08:54

Ganz herzlich willkommen, MissTake. :glück:

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon Traumafrau » 26. Juni 2022, 14:19

MissTake hat geschrieben:Beziehung / Familie / Freund*innen- sollte man sich outen und so um Verständnis und Nachsicht werben? Sollte ich mich den Kolleg*innen gegenüber offenbaren, dass ich das nicht böse meine oder ist das eher kontraproduktiv?


Erstmal Willkommen. Das outing einer PS + Kind kann bei der ein oder anderen Person den Eindruck erwecken, dass das Jugendamt besser mal kontaktiert werden sollte. Meiner persönlichen Erfahrung nach haben die Leute keine Ahnung und sind nicht in der Lage SPS von Schizophrenie zu differenzieren, die ebenfalls hoch stigmatisiert ist. Selbst Psychotherapeuten musste ich den Unterschied schon erklären (im privaten Rahmen). Nicht jeder Mensch ist geeignet derart sensible Informationen zu händeln und damit vertraulich umzugehen.

Verständnis und Nachsicht sind dann das zweite Thema, auf beides hat man auch als betroffene Person keinen Anspruch und nicht jeder Mensch ist gewillt diese zu gewährleisten, weder im privaten, noch im beruflichen Rahmen.

Es sei denn du hättest einen Behindertenausweis und bewirbst dich im Rahmen dessen auf einen Arbeitsplatz. Selbst dort ist eine Gewährleistung auf Rücksichtnahme mehr als unwahrscheinlich und eher tagesformabhängig.

Aber grundsätzlich ist nach einer zu scharf geratenen Abgrenzung eine Entschuldung hinterher immer gut, wenn du meinst, dass es dazu Anlass gibt.

Wie alt ist dein Junge?

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon Kalliope » 26. Juni 2022, 14:58

Hallo MissTake, - auch ein feiner Nick :D.
Das mit den kriegstraumatisierten Eltern kenne ich auch.
(Meine Rede seit '80: ich versuche/muss die Traumata aus zwei Weltkriegen aufzuarbeiten, ohne sie selbst erlebt zu haben. Ich denke aber, ich bin damit auch inzwischen durch. Hat aber mehrere Jahrzehnte gekostet. Meines Lebens.)

Dir wünsche ich einen guten Aufenthalt hier.
Es ist recht bunt hier, wie ich finde und dennoch so angenehm "gesittet".
"In Wirklichkeit ist der andere Mensch Dein empfindlichstes Selbst in einem anderen Körper" Khalil Gibran
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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon MissTake » 26. Juni 2022, 19:28

Traumafrau hat geschrieben:Das outing einer PS + Kind kann bei der ein oder anderen Person den Eindruck erwecken, dass das Jugendamt besser mal kontaktiert werden sollte. Meiner persönlichen Erfahrung nach haben die Leute keine Ahnung und sind nicht in der Lage SPS von Schizophrenie zu differenzieren, die ebenfalls hoch stigmatisiert ist. Selbst Psychotherapeuten musste ich den Unterschied schon erklären (im privaten Rahmen). Nicht jeder Mensch ist geeignet derart sensible Informationen zu händeln und damit vertraulich umzugehen.

Guter Hinweis! Danke. Daran hatte ich nicht gedacht.


Traumafrau hat geschrieben:Wie alt ist dein Junge?
11. Mit Kindern habe ich überhaupt keine Probleme im Umgang. Ich habe immer tolle Ideen, was wir zusammen machen können, auch wenn Freunde von ihm da sind. Vielleicht ist es eine Art Nachholbedürfnis, was ich mit meiner Mutter gern erlebt hätte.

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon MissTake » 26. Juni 2022, 19:38

Kalliope hat geschrieben:Hallo MissTake, - auch ein feiner Nick :D.
Das mit den kriegstraumatisierten Eltern kenne ich auch.
(Meine Rede seit '80: ich versuche/muss die Traumata aus zwei Weltkriegen aufzuarbeiten, ohne sie selbst erlebt zu haben. Ich denke aber, ich bin damit auch inzwischen durch. Hat aber mehrere Jahrzehnte gekostet. Meines Lebens.)


Danke! Beruhigend zu lesen. Ich frage mich, wie meine älteren Schwestern das wegstecken, ok, die große hat das totale Helfer Syndrom, und die mittlere hat sich gegen Familie entschieden. Aber ansonsten waren sie immer genügsam, brav und nicht so lästig, laut und aufmüpfig wie ich. Jede*r leidet eben auf ihre/seine eigene Weise. Ich hätte meinem Kind gern was Besseres vorgelebt.
Ich hoffe, mein Therapeut kann mir helfen, mir langfristig doch mal was Stabiles aufzubauen, was allen Beteiligten gut tut.

(Wie) hast Du Deinen Frieden mit diesem Thema gefunden? Ich kann ja - so gern ich es einerseits würde - niemandem außer den verdammten Nazis die Schuld für diese Misere geben. Eine Aussprache ist auch nicht mehr möglich - wie lernt man, damit irgendwie seinen Frieden zu machen und nach vorn zu schauen? Ich will nicht genauso kalt und abweisend werden, bin aber eigentlich auf dem direkten Weg dahin, und das macht mir die meiste Angst.

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon Kalliope » 26. Juni 2022, 23:18

@ MissTake:

MissTake hat geschrieben:(Wie) hast Du Deinen Frieden mit diesem Thema gefunden? (....)- wie lernt man, damit irgendwie seinen Frieden zu machen und nach vorn zu schauen?


Ich denke, das Thema ist einen neuen/anderen Thread füllend/würdig. Und auch im nichtöffentlichen Raum besser aufgehoben.
Hier nur soweit, dass ich denke - und das kann man eben auch unter Geschwistern gut beobachten -, dass jeder Mensch individuell seinen Weg findet, mit solch geerbten Traumata umzugehen.
Mein Weg war der, dass ich eine lange Zeit lang mir wirklich jede Doku zum Thema WK2 reingezogen habe, um irgendwie die Zeit für mich verstehbar und lebendig zu machen. Und mich sehr viel mit der Vergangenheit meiner Eltern und der der Familien auseinander gesetzt habe. Natürlich muss das lückenhaft bleiben.
Das Trauma meiner Mutter war bekannt, bei meinem Vater war die Sache schon diffiziler. Was ihn anging, so war mir aber eine sehr sachdienliche Quelle eine Patentante.
Aus diesen Puzzlesteinen wurde ein verstehbares Ganzes. Mit dem Verstehen und Verständnis meiner Eltern, dem inneren emotionalen Nachvollziehen, konnte ich mich dann auch selber heilen.

Aber wie gesagt: anderer Thread.

Edit: was ich noch anfügen möchte, weil es mir wichtig erscheint: diese Aufarbeitung war mir erst nach dem Tode beider Eltern möglich.
Heute, nach meiner Heilung, würde ich mich mit ihnen so gerne darüber unterhalten. Weil ich es heute könnte.
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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon MissTake » 27. Juni 2022, 06:26

[*]
Kalliope hat geschrieben: Ich denke, das Thema ist einen neuen/anderen Thread füllend/würdig. Und auch im nichtöffentlichen Raum besser aufgehoben.


Da hast Du Recht... Entschuldigung. Bin nicht so forumserfahren und sprudle gerade über vor Fragen. Ich bin so erleichtert, hier gelandet zu sein und mich mal ansatzweise verstanden zu fühlen. Mit "normalen" Menschen rede ich mittlerweile nur (gern) fachlich oder (ungern) Smalltalk. Alles andere löst nur Unverständnis, Ablehnung oder - was ganz schrecklich für mich ertragbar ist - unerwünschte Helfersyndrome bei anderen aus. Ich fühle mich dann von dieser Nähe erdrückt und auch nicht ernst genommen, so als wäre ich lebensuntüchtig, nur weil ich an bestimmten Themen eben anders knabbere. Bevor ich dann (wieder) undankbar wirke, schweige ich mich aus und zitiere, wenn es um Familie geht, gerne FB "Es ist kompliziert." Mehr will dann ohnehin fast niemand wissen.

Ok, wenn heute nach Feierabend Zeit ist, mache ich einen neuen Thread auf. Und lasse das erstmal sacken. Danke Dir - ich bin wirklich so erleichtert, da schieße ich schon mal übers Ziel hinaus.
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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon Chrisp » 27. Juni 2022, 08:48

Hallo MissTake,

auch von mir ein: Herzlich Willkommen!

Ich freue mich auf Deine Beiträge :)

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Re: Guten Morgen allerseits

Beitragvon bluemoon » 27. Juni 2022, 18:55

MissTake hat geschrieben:...wie lernt man, damit irgendwie seinen Frieden zu machen und nach vorn zu schauen? Ich will nicht genauso kalt und abweisend werden, bin aber eigentlich auf dem direkten Weg dahin, und das macht mir die meiste Angst.


Hallo,

nach vorn zu schauen ist schon der Weg. Einfach machen. Die Ursachen spielen dabei keine Rolle. Das mit dem kalt und abweisend werden wundert mich ein wenig. Kalt und abweisend fühle ich mich nie, aber andere Menschen nehmen mich oft so wahr. Ich kann also versuchen ihnen mein Fühlen begreiflich zu machen, oder ich lasse sie bei ihrer Wahrnehmung. Kommt ganz darauf an, ob mir ihre Sympathie wichtig ist, oder nicht.

In meinem Verständnis liegt die Entwicklung in der frühen Jugend und ist lange abgeschlossen. Im Grunde ist auch niemand Schuld, weil niemand es absichtlich verursacht hat. Man muss einfach damit leben wie man ist. Was man verändern kann sind die eigenen Verhaltensmuster. Dazu muss man sie erkennen und verstehen. Da können sich Muster verfestigen oder aufbrechen. Das ändert aber nichts daran was man ist oder warum man so geworden ist. Entweder man versucht sich an die Gesellschaft anzupassen oder man sondert sich ab.


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