In den letzten Jahren habe ich tatsächlich wieder etwas mehr gelesen in der Hoffnung damit vom Computer mit seinen vielen kurzen Impulsen wegzukommen und etwas Längeres zu beenden. Jetzt würde ich gern die seit meinem letzten Posting hier gelesenen Bücher rezensieren, aber ich kann mich kaum noch an die Titel von vor zwei Jahren erinnern. Das Problem mit dem Kindle (elektr. Buch) ist auch, dass die Sachen so flüchtig sind, dass es gar nicht so einfach ist, zu akzeptieren, dass man hier viel Zeit in etwas investiert hat, das man nicht anfassen kann und ich teils nichtmal die Titel mehr weiss. Das ist bei den echten Schinken natürlich anders und ich habe hier und da auch noch ein paar gebrauchte Science Fiction erstanden.
Fangen wir an mit dem Briten
Adrian Tchaikovsky, der mit "
Children of Time/Ruin" zwei spannende Romane schrieb und auch seine biologischen Kenntnisse unter Beweis stellte. "Children of Ruin" wirkt ein wenig wie ein dem ersten, erfolgreichen Band hinterhergeschobener Nachfolger, bei dem der Erzähler seine besten Ideen bereits in einem wohlstrukturierten Plot verbraten hat und nun, von seinen Fans bedrängt, irgendeine waghalsige Sache improvisiert, was aber überraschend gut klappt! Wieder geht es um beschleunigte Evolution, den Charakter einer Spezies, der überzeugend eingefangen wurde, wieder wird Unglaubliches einleuchtend erklärt. Wer den ersten Band mochte, wird nicht enttäuscht sein.
Evolution zum Dritten: "
The Doors of Eden" zeigt verschiedene mögliche evolutionäre Entwicklungen in einem Multiversum auf, dessen Stabilität bedroht ist und nun bewahrt werden muss. Die Kapitel werden eingeleitet von alternativen Entwicklungen, wie einer prähistorischen Erde, auf der aggressive Ur-skorpione ihre aufkeimenden geistigen Fähigkeiten dazu nutzen sich selbst auszulöschen, oder wenn Flugsaurier am Anfang ihres kulturellen Aufstieges erkennen müssen, dass ihre evolutionäre Nische vielleicht doch zu klein ist. Diese Episoden sind überaus originell und auf ihre phantastische Art realistisch. Leider ist die Hauptstory nur bedingt gelungen in der ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Individuen das bestehende Multiversum rettet. Hier geht es Schlag auf Schlag und bei Nazi-Ratten und lebendigen Raumschiffen wird wurde meiner Vorstellungskraft (zu) viel abverlangt. Zudem fand ich bis auf den Söldner, der an sich und seinem faschistischen Chef zweifelt, keine Figur ansprechend oder interessant. Zehn Punkte für die evolutionären Gedankenspiele, ein mittlerer Daumen für den Rest.
Wir kommen zur "Fantasy". Das Genre habe ich bisher eigentlich gern umschifft, weil ich es mit AD&D und Tolkien verbinde und mit Zauberei wenig anfangen kann. Glücklicherweise bin ich hier mehrfach positiv vom Gegenteil überzeugt worden.
"
Spiderlight" spielt in einer konventionellen high-fantasy Welt, deren Gesetzmäßigkeiten hier und da hinterfragt werden. Auch hier reüssiert Tchaikovskys Lieblingstier, die "Spinne" und wird zum Mittelpunkt der Handlung. Daneben gibt es die eine oder andere humorvolle Beobachtung und eine ungeöhnlich realistische soziale Dynamik, die dazu führt, dass die Dame der Heldengruppe sich mehrerer Interessenten aus den eigenen Reihen erwehren muss. Alles in allem als eine reflektierte Variante der üblichen Heldengruppenabenteuergeschichte nicht schlecht.
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The Tiger and the Wolf": In einer bronzezeitlichen Welt kämpft ein junges Findelkind um sein Überleben und findet seine Identität. Die Menschen können sich hier in ein Tier und wieder zurück verwandeln, woran ich mich erst mal gewöhnen musste, dann aber zog mich das Buch in seinen Bann. Trotz zwei, drei logischen Fehlern, die ich ankreiden muss, bin ich zufrieden. (Warum kann ein Krokodil Wölfen davonschwimmen und warum ist jeder so beflissen der Hauptfigur zu helfen, wenn diese Welt ach so kalt und grausam ist?) Vielleicht lese ich auch mal die nächsten Bände.
Serie "
Shadows of the Apt": "Empire in Black and Gold" (Bd. 1, bis zum siebten Band "Heirs of the Blade")
Von dieser Serie gibt es mittlerweile zehn Bände. Es handelt sich um eine phantastische (Steampunk) Welt an der Schwelle zur Moderne, welche Dampfmaschinen und Luftschiffe kennt, deren menschliche Bewohner sich aber größtenteils noch auf ihre angeborenen (magischen) Fähigkeiten verlassen, die von Insekten entlehnt sind: Gottesanbeter- oder Libellen-Menschen fliegen oder kämpfen besonders gut, die Käfer sind robuste Handwerker, Motten wiederum sehen gut im Dunkeln und haben einen besonderen Hang zur Mystik.
In einer der größten und liberalsten Städte auf dieser Welt lebt ein alternder Abenteuerer und Professor. Er ist der einzige, der die Bedrohung erkennt, welche von den Wespen ausgeht, welche sich langsam ausbreiten und Stadt um Stadt erobern. Zusammen mit seinem Mündel und einigen seiner fähigsten Studenten macht er sich daran die Öffentlichkeit auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Ich muss zugeben, dass mich der erste Band zu drei Vierteln kalt ließ und ich das Buch fast weggelegt hätte. Die selbst noch unerfahrenen Figuren waren zunächst wenig interessant und die Welt zu eigentümlich, so dass ich hier mehrere Anläufe brauchte. Am Ende nahm die Handlung aber Fahrt auf und es hat klick gemacht. So wurde ich mit einer großangelegten Geschichte belohnt, die soziale, politische und militärische Elemente enthielt. Auch menschliche, mystische und romantische Aspekte kommen hier nicht zu kurz und man versinkt regelrecht im ausladenen Detailreichtum. Der Autor wechselt geschickt hier und da die Schauplätze und Themen, so dass es eigentlich immer spannend bleibt. Kann ich empfehlen.
Shards of Earth: Die Zukunft. Geheimnissvolle kristalline Aliens überfielen in der Vergangenheit u.a. die Erde und zerstörten diese, bevor sie wieder verschwanden. Nur ein spezieller Psi-begabter Mensch konnte sie vertreiben und ist wohl der Schlüssel zur Lösung ihrer rätselhaften Existenz. Wer sind sie? Kommen sie wieder? Alles in allem guter SciFi, an den ich mich aber kaum noch erinnern kann. Leider wieder eher schwache Figuren bei einer insg. unterhaltsamen Geschichte.
"
One Day All This Will Be Yours": Recht kurzer Roman mit schrecklichem Cover. Ein Zeitsoldat hütet die Schwelle zur Zukunft und hat allerlei Umgang mit anderen Zukunftsreisenden, die er daran hindert weiter vorzudringen, indem er sie kreativ abmurkst. Irgendwann trifft er aber dabei auf einen ihm ebenbürtigen Gegner und wird Opfer eines Zeitparadoxons. Durch den etwas saloppen, humorvollen Stil werden die Figuren vernachlässigt und das ganze wirkt eher wie eine humorvolle Fingerübung. Nicht schlecht, aber zu kurz und damit zu teuer. Soviel zu Tchaikovsky.
K.J. Parker: Auch der Amerikaner schreibt Fantasy Romane. Ich dachte stets, dass es sich dabei um konventionelle high-fantasy handelte, mit Zauberern, Barbaren und Drachen, aber wie ich schon oben feststellen musste, werden diese Konventionen in modernen Romanen hinterfragt oder durch interessantere Szenarien ersetzt. In der
Scavenger Trilogie geht es um einen Mann, der in der Wildnis erwacht, inmitten verstreuter Leichen und neugieriger Krähen. Er hat keine Erinnerung daran, wer er ist oder wie er dorthin gekommen ist. Die einzigen Hinweise auf seine frühere Existenz sind seine offensichtlichen Fähigkeiten im Umgang mit dem Schwert und die fragmentarischen Träume, die seinen Schlaf durchdringen. Allein in einer feindlichen Welt zieht er von Dorf zu Dorf und gibt sich als ein Gott aus, um Nahrung und Unterkunft zu erhalten. Doch der Schatten seiner Vergangenheit verfolgt ihn unerbittlich. Er flüstert ihm ein Rätsel zu, das viel komplexer ist, als er es sich je hätte vorstellen können - und eine Wahrheit, die er vielleicht nicht glauben will. (Klappentext).
Hier ist die Magie als eine äußerst flüchtige Kraft so unscheinbar, dass man bis zuletzt zweifelt, ob sie existiert: Bedeuten die prophetischen Träume etwas, sind schicksalshafte Begegnungen zufällig, oder vorherbestimmt und lässt sich die makellose Zusammenarbeit der Invasoren im zweiten Band kulturell erklären oder ist da mehr im Spiel? Was mir an Parker aber besonders gefällt ist seine Art Geschichten zu erzählen. Häufig handelt es sich um stoische Figuren, die keineswegs im Mittelpunkt der Welt stehen, sondern so gerade über die Runden kommen, während sie die großen und kleinen Schicksalsschläge registrieren, sich stets um eine Verbesserung ihrer Situation bemühen und sich dabei gerade so in einer feindseligen Welt behaupten können. Ihre Grundhaltung dabei ist ein fatalistischer Zynismus, bei dem man sich fragt, wie derjenige mit der Einstellung morgens überhaupt noch aus dem Bett kommt. Unglücklicherweise beschreibt das nicht nur den Leidensweg, welcher zu einem um so süßeren Ende führt, sondern betrifft auch den Ausgang der Geschichten: Außer Spesen ist hier nichts gewesen. Des Lesers Herz, das sich nach Erlösung sehnt, zieht sich noch ein letztes mal zusammen, wenn die überlebenden Figuren bestenfalls in ein tristes Exil fliehen ("
Belly of the Bow"), irgendeinem pol. Ziel vage näher gekommen sind ("
The Two of Swords"), oder in der Scavenger Trilogie sich eine düstere Prophezeiung doch noch bewahrheitet.
Als ich dann auf der ersten Seite von "
A small price to pay for a birdsong" las, dass die "tragischen Geschichten des Autors Figuren beinhalten, deren Handlungen letzten Endes unbeabsichtigt und unweigerlich selbstzerstörerisch sind", sah ich meine bisherigen Eindrücke auf den Punkt gebracht und brach das Buch erstmal wieder ab, um es schließlich doch noch zu beenden. Dem intelligenten Sarkasmus des Autors konnte ich mich dann doch nicht entziehen. Zur Zeit lese ich "
Devices and Desires", das nicht so kurz und knackig auf den Punkt gebracht ist, wie "A small price", aber ebenso vor trockenem Zynismus nur so trieft und seine Figuren wie in einem langen Schachspiel strategisch ans Messer liefert. Mein neuer Lieblingsautor.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tom_Holt