Interview zum Thema Alexithymie

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ToWCypress81
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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon ToWCypress81 » 22. April 2021, 03:08

orinoco hat geschrieben:Ich vermute die Geringschätzung der Gefühle ist das Ergebnis eines arroganten bis größenwahnsinngen Bewußtseins, das es nicht ertragen kann, das es im Gehirn nicht die erste Geige spielt. Wie heißt es doch so schön: unser Bewußtsein ist eine Nußschale auf dem Ozean der Gefühle. Diese Zurückstufung, die Erkenntnis nicht der Herr im eigenen Haus zu sein ist für das Bewußtsein, den Verstand und die Ratio irgendwie nur schwer zu ertragen.

Das denke ich auch. Das klingt sehr nach dem Wesen Mensch, dessen Ansinnen sich über alles zu stellen, genauso wie über den eigenen Körper/Gefühle - ihn erst zu dem macht das er denkt zu sein.

orinoco hat geschrieben:Zwischen Gefühlen und rationalem Denken gibt es auch keinen direkten Austausch. Speziell das limbische System versteht keine Sprache und keine rationale Gedanken. Und umgekehrt versteht die Ratio die Gefühle nicht und erfindet die abstrusesten Geschichten um sie sich zu erklären.

Das hätte der Mensch gerne! wie eben schon benannt. Fakt ist das meines Erachtens nicht.

Das limbische System (von lateinisch limbus „Saum“) ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient. Dem limbischen System werden auch intellektuelle Leistungen zugesprochen. Die Sichtweise, bestimmte Funktionen (wie die Triebe) nur auf das limbische System zu beziehen und als vom Rest des Gehirns funktionell abgegrenzt zu betrachten, gilt heute als veraltet.- aus Wikipedia

Um es in einem Beispiel aufzuzeigen:
Wenn man sich z. B. denkt, "Hmm.. ich würde mir jetzt echt gerne eine Pizza bestellen".
- Dabei steht zuerst das Gefühl "Hunger" im Vordergrund.
- Da man sich für Pizza entschieden hat, steht das Gefühl "Lust" im Sinne einer bevorzugten Speise an 2. Stelle.
- Erst DANACH setzt dann meist die Ratio, also der Verstand/Vernunft ein, sodass je nach individuellen bzw persönlichen Vorstellungen darüber nachgedacht wird, ob man das nun wirklich essen sollte.
Sprich: Erst DURCH diese Gefühle, setzt dann ein menschlicher Denkprozess im Sinne der Vernunft ein, der die Gefühle UNTERDRÜCKEN soll.
In dem Sinne: wenn man diese Pizza jetzt bestellt/isst: könnte das ungesund sein, könnte mich zu müde machen, sollte ich das Geld lieber für etwas anderes aufsparen, oder lieber nichts bestellen um die Person die zu Hause heute etwas kocht nicht zu verärgern.

Somit könnte man sagen, das der Verstand bzw die Vernunft, "das Ratio" die für den Menschen "vermeintlich" wichtigste Eigenschaft ist, die dafür sorgt - die eigenen Gefühle zu unterdrücken.

Denn nur durch diese Unterdrückung der Gefühle der Mensch erst in der Lage ist Dinge herauszufinden, die aus dem Verstand heraus entstehen - wie Verstand-bedingte Moral, Werte, Hinterlist, Sparsamkeit, Einfluss und Zukunftsvorstellungen - die ihn zu diesem fortschrittlichen Wesen führen, das er heute ist.

Das Problem an dieser Vernunft bzw diesem rationalen Denken/Verstand ist allerdings, das der Mensch jedes Gefühl somit insgeheim auch immer als ein Feind bzw Gegenspieler/Antagonist dieses bzw seines Verstandes ansieht.

Daher WILL der Mensch ansich gar keinen Zugang zu seinen Gefühlen haben!

Somit werden auch Psychologen und Geisteswissenschaftler auf alle Zeit und zu jeder Zeit, alles versuchen, immer nur "um den heißen Brei herumzureden" (warum, wieso, weshalb = Verstand), anstatt den "Brei" also WAS das für Gefühle sind die verstört, blockiert oder eingeschränkt sind, herauszufinden.

Aufgrund dessen wird für jeden Menschen und Psychologen/Psychiater/Geisteswissenschaftler ein "geistig" Kranker, "geistig" Gestörter oder "geistig" falsch Entwickelter auch immer nur ein IM GEIST/VERSTAND verstörter oder eingeschränkter Mensch sein, anstatt als ein in den GEFÜHLEN verstörter/eingeschränkter Mensch.

Was auch der Grund ist warum jeder "normale" Mensch, "geistig" eingeschränkte/verstörte Menschen GAR NICHT VERSTEHEN KANN und daher oft ablehnt, Abstand sucht, keinen Zugang findet und teils gar Angst vor diesen hat.
Da die Menschen denken, der Geist/Verstand - also die Vernunft, Moral und somit auch die Ethik dieses Menschen ist krank, gestört, eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden.

Wenn die Menschen endlich kapieren würden, das nur die GEFÜHLE dieser Personen verstört, eingeschränkt oder blockiert wären, würden die Menschen diese Menschen auch besser verstehen, genauso wie ihnen auch helfen können.
Allerdings nur unter der Voraussetzung: beide Menschen sind sich ihrer eigenen Gefühle bewusst und erkennen diese auch als die ihren an!
Zuletzt geändert von ToWCypress81 am 22. April 2021, 22:33, insgesamt 2-mal geändert.
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Sybillina

Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon Sybillina » 22. April 2021, 07:54

@ ToWCypress:
Das Beschriebene sind doch aber eher Triebe, nicht Gefühle, hätte ich gesagt.

Da das zur Doku hier Gesagte so interessant klingt, werde ich sie doch anschauen müssen. Ich HASSE Videos, sie sind für mich extrem anstrengend. Aber es scheint sich wohl hier zu lohnen.

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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon Kalliope » 22. April 2021, 10:36

@Sybillina

ich hasse zwar keine Videos, aber insbesondere dieses ist wirklich grauenhaft :).
Der Sound ist zunächst unerträglich, wir dann aber besser.
Diese Kinder(still)einlage ist einfach unmöglich, aber wahrscheinlich ließ es sich nicht anders einrichten. Im ersten Augenblick dachte ich, "die" wollten damit testen, bzw. jeder, der das schaut, darf sich gleich testen an dieser Stelle, mit wie viel oder weniger Gefühl er drauf reagiert. Bei mir war es so, dass ich es an dieser Stelle dann schon abschalten wollte und es war eine Quälerei, das auszuhalten. Das habe ich nur geschafft, weil ich am Thema interessiert war/bin.
Dritter Faktor, der aber mögicherweise nur mich persönlich betrifft: der ganze Habitus dieser Frau. :-(( (Für mich: zu sehr "typisch Weibchen")
Wirkt total "unreif", fast pubertär (vor allem die Gestik, wie diese dauernde Haare zurückwerfen oder - streichen). Ich hatte also Schwierigkeiten, sie ernst zu nehmen als Wissenschaftlerin. Das betrifft aber auch ihre Sprache, die wie dieses nervöse Haaregefummel eben auch bisweilen schwammig und unsicher wirkt.

Unterm Strich aber war es eben das Thema, das interessant ist und bleibt.
Mein Rat: Bild weg, nur den Ton hören.
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass ich mit dem Buch deutlich besser zurechtkomme. Da muss ich sie mir ja weder anhören noch ansehen.
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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon austerl » 22. April 2021, 12:17

orinoco hat geschrieben:es sind eher Sozialarbeiter und ähnliche Berufe mit Straßenerfahrung auf Augenhöhe mit den Betroffenen und deren sozialem Mileu, die deutlich mehr Verständnis aufbringen und auch ihr Handeln entsprechend ausrichten.
Den Satz würde ich gern einfach nur noch mal herausstellen. Zum Beispiel Sozialarbeiter sind wohl tendenziell wesentlich beteiligter, präsenter als bspw. ein Therapeut, eben in einem umfassenderen Sinne selbst involviert, und gerade deshalb auch tendenziell verständiger. Finde das wichtig festzuhalten. Und um noch einen Bogen zum Thread-Thema zu schlagen: Vielleicht sind ja alle Menschen alexithym, manche nur etwas mehr als andere. Und Lexithymie ist vielleicht auch gar nicht besonders wichtig. Selbst involviert sein (können) im Verhältnis zu wenigstens denjenigen anderen, die einem wichtig sind, darauf kommt es wohl weit mehr an. Es sei denn, die Fähigkeit, in diesem Sinne involviert zu sein, würde mit umfassenderer Alexithymie sinken, was ich intuitiv nicht glaube, ja sogar kontraintuitiv finde. (Wenn Schizoide ein Problem damit haben, in diesem Sinne involviert zu sein, dann ist ganz bestimmt nicht ihre Tendenz zur Alexithymie der Grund.)

Sybillina

Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon Sybillina » 22. April 2021, 18:47

@ Kalliope:

Danke vielmals!!

Ich melde dann rück.

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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon ToWCypress81 » 22. April 2021, 22:26

Sybillina hat geschrieben:Das Beschriebene sind doch aber eher Triebe, nicht Gefühle, hätte ich gesagt.

Ein Trieb ist eine Reaktion auf ein Bedürfnis.
Heißt: ein Mensch wird angetrieben ein Bedürfnis zu stillen.
Das Bedürfnis ist ein Gefühl des Körpers (inklusive Gehirn) das sich bemerkbar macht und dem Körper zu einer Reaktion auffordert. Dadurch ist der Körper angetrieben diesem Bedürfnis=Gefühl nachzugehen.

Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung https://www.google.com/amp/s/www.sueddeutsche.de/wissen/gemischte-gefuehle-die-triebkraefte-des-lebens-1.965648!amp , ist da für dieses Thema ganz interessant, auch wenn unvollständig.
Auszug aus "die Triebkräfte des Lebens":
Vor allem der kalifornische Neurologe Antonio Damasio überzeugte die interessierte Öffentlichkeit mit seinen Fallgeschichten und Experimenten. Sie legten nahe, dass Emotionen nicht nur irrelevante oder gar störende Begleitmusik des menschlichen Handelns und Denkens sind, sondern deren Triebkräfte: Patienten, bei denen die emotionalen Zentren des Gehirns zerstört sind, können sich schlicht nicht mehr entscheiden. Sie werden lebensunfähig.
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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon Kalliope » 23. April 2021, 09:41

@ToWCypress81

Sie legten nahe, dass Emotionen nicht nur irrelevante oder gar störende Begleitmusik des menschlichen Handelns und Denkens sind, sondern deren Triebkräfte: Patienten, bei denen die emotionalen Zentren des Gehirns zerstört sind, können sich schlicht nicht mehr entscheiden. Sie werden lebensunfähig.


Steh ich aufm Schlauch oder IST der Satz unlogisch? Oder falsch übersetzt?

Wenn Menschen, deren emotionale Zentren im Gehirn zerstört sind, sich nicht mehr entscheiden können, sind Emotionen weder irrelevant noch störend, sondern das Gegenteil. Nämlich überlebensnotwendig.
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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon 2ost » 23. April 2021, 12:10

Mit Anführungszeichen eventuell verständlicher (Anführungszeichen und rote Hervorhebungen von mir!)?
Sie legten nahe, dass Emotionen nicht nur irrelevante oder gar störende Begleitmusik des menschlichen Handelns und Denkens sind, sondern deren Triebkräfte: Patienten, bei denen die emotionalen Zentren des Gehirns zerstört sind, können sich schlicht nicht mehr entscheiden. Sie werden lebensunfähig.

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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon ToWCypress81 » 23. April 2021, 12:58

Kalliope hat geschrieben:Steh ich aufm Schlauch oder IST der Satz unlogisch? Oder falsch übersetzt?

Du stehst aufm Schlauch.

Der Satz bezieht sich auf Wissenschaftler (sowie genannter Neurologe Antonio Damasio), die herausgefunden haben, DAS Emotionen=Gefühle die Triebkräfte, und NICHT wie bisher von Menschen angenommen nur "irrelevante" oder gar "störende Begleitmusik" des menschlichen Handelns und Denkens sind.
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Re: Interview zum Thema Alexithymie

Beitragvon Kalliope » 23. April 2021, 17:53

Danke Euch beiden!
Mit den Anführungsstrichen wird es mir dann auch sofort klarer.

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