Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

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2ost
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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon 2ost » 8. Juni 2022, 17:45

Chrisp hat geschrieben:Stumpfheit, unangemessenes soziales Verhalten ist eben ALLEN Menschen zu eigen. Und nimmt zu. Die Welt wird "schizoider" ist mein Eindruck.
Schizoid steht, in deinen Augen, also synonym für Stumpfheit und [jegliches] sozial unangemessene Verhalten? :erschrocken:

Chrisp
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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Chrisp » 8. Juni 2022, 18:03

Meine Aussage ist: Stumpfheit und unangemessenes soziales Verhalten ist ALLEN Menschen zu eigen. Also ja, auch Menschen mit schizoider PS.
Vielleicht hätte ich besser einen Absatz nach "zu" machen sollen, um deutlich zu machen, dass mein GESAMTEINDRUCK ist, dass die Welt "schizoider" wird, also in Bezug auf ALL das, was ich vorher geschrieben habe und nicht nur auf die zwei Sätze davor?!

Also nein, "Stumpfheit" und "sozial unangemessenes Verhalten" steht keinesfalls SYNONYM für "schizoid". Ehrlich gesagt wüsste ich gar kein Wort oder Wörter, die man synonym für "schizoid" verwenden könnte, sollte.

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Avocado » 11. Juni 2022, 21:56

Ich würde sagen, dass es schon immer so war, dass vielen Menschen die Fähigkeit fehlt, sich in Andersdenkende hineinzuversetzen. Im allgemeinen ist das kein Problem, weil sich Menschen einfach ähnlichdenkende Bekannte suchen, bei denen ein Hineinversetzen nicht nötig ist, um ein gemeinsames Miteinander zu gewährleisten. In dem Moment, wo jemand andere oder sogar konträre Bedürfnisse hat als sie selbst, scheitern die meisten Menschen am respektvollen Umgang.
Wenn man "neurotypisch" ist, hat man größere Überschneidungen mit anderen Menschen, was den Umgang insgesamt einfacher macht. Sobald die Bedürfnisse aber aus anderen Gründen auseinanderlaufen, knallt es trotzdem.

Zu den einzelnen Punkten:

Ich setze bei der Bahn im allgemeinen auf Körpersprache. Wenn meine Beine oder Taschen im Weg sind, warte ich drauf, dass jemand davor stehenbleibt. Dann räum ich sie weg. Nicht vorher. Ich kann nicht alle 10s alles umräumen, wenn jemand vorbeiläuft. Andere finden das total schrecklich, dass Leute ihnen nicht signalisieren, dass sie erwünscht sind, und dass sie sich nicht trauen, sich hinzusetzen. (Beichte: Ich freu mich über Platz, tatsächlich wünsche ich mir die Leute nicht...). Auf eine Bitte warte ich aber auch nicht. Da ich mich meist breiter mache als ein Sitzplatz, bin ich da in der Situation auch nicht bevorrechtigt, ein Danke ist also mMn unnötig. Ich bedanke mich auch nicht bei jedem, der an der roten Ampel stehenbleibt, wenn ich grün hab.

Bei Fahrradfahrern und Fußgängern ist mMn die Differenzgeschwindigkeit so hoch, dass verbale Kommunikation praktisch unmöglich ist. Daher würde ich da insgesamt drauf verzichten. Klingeln finde ich in größerem Abstand gut. Dass man noch so 3s Zeit zu überlegen hat. 1s braucht ein Mensch sowieso für die Reaktion, näher dran bringt also gar nichts.

Ich habe auch beobachtet, dass viele Menschen (wie auch ich) verschiedene Situationen trennen. Im Supermarkt und in der Bahn sind die meisten Menschen nicht, weil sie gerne dort sind, sondern weil sie müssen. Daher versuchen die meisten Leute, dort schnell ihren Kram zu erledigen, damit sie später was interessanteres tun können. Neben SPS gibts noch tausend andere Gründe, nicht sozial Interagieren zu wollen. Von Ängsten über Introversion bis hin zu "schlechten Tag gehabt und würde die erste Person anschreien, die mir dumm kommt".

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Chrisp » 13. Juni 2022, 08:40

Sehr interessant -für mich.
Mein Verhalten ist da ganz anders -und es geht mir nicht darum, ob ein Verhalten besser oder schlechter ist als das andere Verhalten, sondern darum aufzuzeigen, dass es eben anderes Verhalten (trotz ähnlicher Motivation) gibt.

Die Bahn ist für mich ein Horror. Ich würde alles versuchen, mich so "klein" wie möglich zu machen. Mir eine Nische suchen, die möglichst niemandem den Weg versperrt, denn das könnte aus meiner Sicht dazu führen, dass das eintritt, was ich keinesfalls möchte: jemand quatscht mich (genau deshalb) an. Gleiches gilt für mich, würde ich zwei Sitzplätze belegen. Aus meiner Erfahrung ist das schon fast eine "Einladung" zu einer Auseinandersetzung. Und andersherum: würde ich mich setzen wollen (oder müssen, weil es eine lange Fahrt ist), möchte ich nicht genötigt sein mit Körpersprache oder verbal fragen müssen, ob ich den Platz bekomme, den jemand einnimmt, weil er sich breiter macht als eben ein Sitz. Für mich ist klar: jedem steht, wenn vorhanden, EIN Platz zu ohne darum "bitten" zu müssen. Um im Autobeispiel zu bleiben: Ich fahre ja auch nicht auf dem Mittelstreifen, sondern in einer Spur.

Ich weiß nun auch immer noch nicht, was für eine Reaktion denn von mir als Fußgänger erwartet wird, wenn ein Radfahrer auch aus Entfernung klingelt. Was genau wird denn mit dem Klingeln bezweckt? Was genau soll denn der Fußgänger in den 3 Sekunden überlegen? Nochmals, ich kritisiere das nicht, ich verstehe es nicht.

Mir scheint, dass wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben (was gut so ist). Ich sehe (mehr) Leute im Supermarkt, die sich unterhalten, Schwätzchen halten und keinerlei Merkmale davon aufweisen, eben den Markt schnell zu verlassen. Die sich gar freuen, jemanden zu treffen, mit dem sie schwatzen können. Meine Kinder gehen sogar gern einkaufen, in den Supermarkt. Allerdings wohne ich auch in einem Dorf, da ist es vielleicht nicht so wie in einer Stadt. Der Supermarkt gilt hier als "Austauschbörse" aller Neuigkeiten und Gerüchte, ist ein Treffpunkt dafür.

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Avocado » 13. Juni 2022, 20:45

Chrisp hat geschrieben:Ich weiß nun auch immer noch nicht, was für eine Reaktion denn von mir als Fußgänger erwartet wird, wenn ein Radfahrer auch aus Entfernung klingelt. Was genau wird denn mit dem Klingeln bezweckt? Was genau soll denn der Fußgänger in den 3 Sekunden überlegen? Nochmals, ich kritisiere das nicht, ich verstehe es nicht.


Stell dir die Situation vor, in der nicht geklingelt wird. Der Fußgänger läuft auf der rechten Seite, der Radfahrer denkt sich: "Kein Problem, also fahre ich daran vorbei." In dem Moment, in dem der Radfahrer vorbeifährt, will der Fußgänger auf die andere Seite, dreht sich um, die beiden kollidieren. Das Ergebnis sind ein paar Knochenbrüche. Das vermeiden die meisten Menschen gerne. Deswegen einfach vorher klingeln, sodass dem Fußgänger bewusst wird, dass da jemand anderes vorbeifährt. Eine gewisse Reaktionszeit braucht es mMn, weil viele Menschen den Reflex haben, sich nach einer unerwarteten Geräuschquelle umzusehen, und Menschen bei einer Rotation des Kopfes den Torso mitdrehen und damit die Bewegungsrichtung zur Seite verändern. Das sollte der Fußgänger korrigieren können, bis das Fahrrad ihn erreicht hat.

Chrisp hat geschrieben:Mir scheint, dass wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben (was gut so ist). Ich sehe (mehr) Leute im Supermarkt, die sich unterhalten, Schwätzchen halten und keinerlei Merkmale davon aufweisen, eben den Markt schnell zu verlassen. Die sich gar freuen, jemanden zu treffen, mit dem sie schwatzen können. Meine Kinder gehen sogar gern einkaufen, in den Supermarkt. Allerdings wohne ich auch in einem Dorf, da ist es vielleicht nicht so wie in einer Stadt. Der Supermarkt gilt hier als "Austauschbörse" aller Neuigkeiten und Gerüchte, ist ein Treffpunkt dafür.

Ja, das ist vermutlich lokal unterschiedlich, gerade Dorf/Stadt. Und auch zeitlich. Zumindest war ich ein paarmal mittags einkaufen (was ich normalerweise wegen der Arbeit nicht tue), und die Atmosphäre war da sehr anders. Das was ich sagte muss ja auch nicht für alle Menschen in der Form gelten: Einige gehen vielleicht absichtlich einkaufen, um sich zu unterhalten. Aber die eine Seite verstehst du ja scheinbar schon, deswegen macht es wohl mehr Sinn, die andere zu erklären. ;)

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Chrisp » 14. Juni 2022, 07:56

Langsam komme ich dem Kernpunkt näher. Ja, ich stelle mir Deine beschriebene Situation vor. Auf einem Feldweg (denn in der Stadt sind Fahrradwege klar gekennzeichnet oder der Fahrradfahrer fährt auf der Straße). Und teile das dann auf in zwei Verantwortungsbereiche. Der Fußgänger sollte nicht quer Beet rennen, wenn ihm klar ist, dass eben auch Fahrradfahrer und ggf Autofahrer diesen Weg nutzen. Seine Verantwortung, sich zu vergewissern, ob er gefahrenfrei hin und her laufen kann. Ein Signal, dass sich jemand von hinten nähert ist da durchaus eine Möglichkeit, ihm anzuzeigen, dass er noch bedachter sein sollte. Führt aber wie erwähnt oft gerade dazu, dass sich dieser erschreckt und genau dann gegenteilig reagiert.
Und der Fahrradfahrer sollte dennoch nicht davon ausgehen, dass er nun ohne verminderte Geschwindigkeit "freie Bahn" hat. Es liegt in seiner Verantwortung, den Fußgänger so zu überholen, dass es zu keiner Kollision kommen kann, bedeutet ggf Schritt zu fahren.

Doch ist meine Erfahrung eben nicht, dass die meisten Fahrradfahrer sich der Situation anpassen, sondern erwarten, dass man als Fußgänger stehen bleibt oder sich an die Seite drückt, dem Fahrradfahrer eben (mehr) Platz macht, damit dieser in unverminderter Geschwindigkeit seinen Weg fortsetzen kann. Und an warmen Tagen, in der "Coronazeit" (als mehr Leute draußen unterwegs waren/sind) wurde das für mich zu einem Stop und go.
Ich bin kein Fahrradfahrer, aber Motorrad- und Autofahrer. Vielleicht hat sich vieles seit meiner Prüfung geändert, aber ich gehe davon aus, dass der, der das "stärkere" (gefährliche) Objekt hat, einer größeren Rücksicht verpflichtet ist. Ein Autofahrer erwartet ja auch nicht, dass der Fahrradfahrer sich an die Seite drückt oder gar stehen bleibt, wenn dieser überholen will. Er hat so zu überholen, dass er es gefahrenlos machen kann oder er lässt das Überholen.
Es ist daher -aus meiner Sicht- eine "nette Geste", wenn Fußgänger noch weiter an die Seite gehen, aber keine Verpflichtung, solange sie nicht den ganzen Weg einnehmen oder mittendrauf spazieren gehen. Insofern wäre das noch weiter an die Seite zu gehen, damit der Fahrradfahrer seine Geschwindigkeit nicht all zu sehr drosseln muss, mit einem "Danke" zu quittieren. Es ist eben keine Selbstverständlichkeit.
Aus meiner Erfahrung (vielleicht ist das nur hier so-dörfliche Gegend mit vielen Feldwegen), die keine Allgemeingültigkeit beansprucht, ist es so, dass Fahrradfahrer es erwarten, als Selbstverständlichkeit ansehen, dass sie ihre Fahrt "ungehindert", ohne Drosselung ihrer Geschwindigkeit vornehmen können. Aber eben berechtigterweise auch nicht stehen bleiben oder sich an den Rand drücken, wenn ein Autofahrer sie überholen möchte. Es obliegt dem Autofahrer einzuschätzen, ob er gefahrlos überholen kann oder nicht. Als Autofahrer käme es mir niemals in den Sinn, jeden Fahrradfahrer "anzuhupen" bevor ich überhole.
Es ist schwierig, hier das zu finden, womit Fahrradfahrer und Fußgänger problemlos ihren Weg fortsetzen können, gelingt m.E. nur, wenn sich Beide ihrer Rechte, aber auch Pflichten bewusst sind und erkennen, dass problemlos/hindernislos eben nicht möglich ist; dass Beide einen kurzen Augenblick ihre "Comfort-Zone" verlassen müssen, nicht nur einer.

Bezüglich der "Supermarktaspekte" bin ich wohl zu langsam, zu verstehen, was Du meinst. Welche Seite verstehe ich denn Deiner Meinung nach und welche müsste mir daher erklärt werden?

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Ryoki » 14. Juni 2022, 19:53

Hallo miteinander :)

Ein interessantes Thema wie ich finde, von euch allen schon sehr gut in ihrer Empfindung und persönlichem Umgang dargestellt. Meinerseits kann ich mich dem anschließen, wenn es um die Erwartung der simplen Gepflogenheiten des sozialen Anstands geht. Ich weiß, dass ich mich früher sehr viel schneller meiner Empörung dessen hingab, wenn sich jemand nicht meines eigenen Ermessens nach, höflich oder Rücksicht nehmend genug verhielt und keinerlei Anstalten machte überhaupt zu reagieren. Mittlerweile konnte ich beobachten, dass auch ich, je nach Stimmungslage, zu weniger freundlichen Umgang oder Rücksichtnahme neige. Es gab durchaus schon Tage, wo mir die Freundlichkeit aller, entweder zu viel war oder gar scheinheilig vorkam, was mich noch wütender machte. Irgendwann musste ich schlichtweg erkennen, dass ich mit vielen Dingen, vor allem aber mit mir selbst, sehr unzufrieden war und eben auch empfindlicher gegenüber solch kleinen alltäglichen Interaktionen. Ich musste für mich lernen, dass man sich zum einen, nicht an allem innerlich aufreiben muss oder braucht, eben weil wir Menschen nun dazu neigen, die eigene Welt als vorrangig zu betrachten. Das könnte man nun als stumpf gegenüber dem Umfeld betrachten und tatsächlich ist dem vielleicht auch so, dennoch hab ich irgendwann für mich erkannt: 1. Ich bin mit meinen Erwartungen nicht das Zentrum der Welt, Anstand hin oder her. , 2. Je mehr ich mir sonderbares Verhalten von anderen Menschen zu sehr in Frage stelle, komme ich früher oder später immer wieder auf das gleiche Ergebnis: Man kann es nicht grundlegend ändern, einfach weil keiner im anderen steckt und auch keiner die Gründe des anderen kennt, sich nicht sozial genug geben zu können. Mein Verständnis dafür oder andere lässt mich einfacher damit umgehen 3. Ich rege mich weniger über Gegebenheiten auf, sondern versuche in einer mir möglichen Rücksichtnahme auf andere, mit Höflichkeit zu äußern, dass es mir leid tut, falls ich nicht ganz aufmerksam war, einfach weil ich gerade in meiner eigenen Blase bin/war. und allumfassendes 4. Je mehr ich im Einklang mit mir selbst, also auch zufriedener mit mir oder auch meinem Leben bin, desto leichter fällt es mir, positiver und offener gegenüber auch weniger beliebten Verhaltensweisen zu sein.
Stark verallgemeinert könnte man auch vom eigenen Karma sprechen, aber das ist nur meine Erfahrung, die ich gemacht habe. Spätestens als ich aus meiner "Opferrolle" heraustrat und angefangen habe, einige meiner Ansichten stark zu überdenken und zu hinterfragen, bestimmte Dinge zu akzeptieren was mich als auch meine Vergangenheit betrifft, seither kann ich beobachten, wie stark ich selbst Einfluss nehmen kann und falls nicht, ich mich daran aber auch nicht mehr so aufreibe :)

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Avocado » 14. Juni 2022, 21:16

Okay, dann reden wir weiter über Fahrräder und Fußgänger.
Ich würde sagen, dass du zu sehr von deinem eigenen Blickwinkel und deinen eigenen Wertungen ausgehst. Also dass du die Kosten-/Nutzenrechnung nach den von dir veranschlagten Werten ausgehst, die aber für ander Verkehrsteilnehmer ganz anders sein können. Ich finde z.B., dass ein Fußgänger sehr viel flexibler in der Bewegung ist als ein Radfahrer, und erwarte deswegen etwas mehr Flexibilität vom Fußgänger. Das ist z.B. die schnelle Änderung der Bewegungsrichtung und dass ein Fußgänger schnell stehen bleiben und wieder loslaufen kann. Aber z.B. auch, dass ein Fußgänger gefahrlos mit 5cm Abstand zwischen Fuß und Kante spazieren gehen kann, während das für ein Fahrrad sehr gefährlich werden kann. Genauso wie ich als Fußgänger meist problemlos auf eine Wiese ausweichen kann, was mit dem Rad auch nicht so einfach ist. Ob das nötig ist oder nicht, kommt dann immer auf die Situation an. Verpflichtend ist es nicht, gehört aber mMn zum guten Ton. Und da unterscheiden sich dann unsere beiden Anspruchshaltungen.

Realistischerweise betreiben die meisten Menschen ihre Rechnung nach den Gesichtspunkten, die sie kennen. D.h. dass sie die Kosten der anderen vernachlässigen. Weil sie sie nicht kennen, oder weil es sie einfach nicht interessiert, das sei mal dahingestellt.
Denkst du, du würdest die Prioritäten anders setzen, wenn du selbst regelmäßig Fahrrad fahren würdest?

sondern erwarten, dass man als Fußgänger stehen bleibt oder sich an die Seite drückt, dem Fahrradfahrer eben (mehr) Platz macht, damit dieser in unverminderter Geschwindigkeit seinen Weg fortsetzen kann.

Woher nimmst du die Erkenntnis, dass diese Erwartungshaltung dahinter steht?

Ein Autofahrer erwartet ja auch nicht, dass der Fahrradfahrer sich an die Seite drückt oder gar stehen bleibt, wenn dieser überholen will. Er hat so zu überholen, dass er es gefahrenlos machen kann oder er lässt das Überholen.

Ich kann dir mal empfehlen, auf YT nach dem "unsichtbaren Christian" zu suchen. Der ist auf Dashcam-Kanälen bekannt dafür, dass er als Radfahrer ständig fast überfahren wird. Vieles davon ist dann auch Unwissen. Ich habe durch solche Videos z.B. viel gelernt. Ich habe in der Fahrschule nie die StVO zu Gesicht bekommen, und was da alles drinsteht, ist verblüffend. Also selbst die Annahme, dass man als Führerscheininhaber die Rechtslage gelernt haben sollte, kann ich verneinen.

Ich finde auch den Vergleich Fahrrad->Fußgänger vs. Auto->Fahrrad etwas hinkend. Wegen der unterschiedlichen Straßenbeschaffenheit, eventuellen Hindernissen, Flexibilität etc. Also ein Fahrrad ist einem Auto im Verhalten sehr viel ähnlicher als einem Fußgänger.

---

Bezüglich der Kasse: Ich hatte vor allem deine vorherige Aussage bestätigt. Ich war glaube ich auch verwirrt, weil ich in Erinnerung hatte, dass du dich über mangelnde Interaktion im Supermarkt beschwert hattest, aber das war ja jemand anderes.

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Chrisp » 15. Juni 2022, 08:42

@Avocado:
Hmmm... jetzt verschieben sich für mich verschiedenen Ebenen in der Diskussion. Ich stimme zu, dass meine Wertvorstellungen eine Rolle spielen. Dass ich jedoch zu sehr von (m)einem Blickwinkel ausgehe, würde ich ablehnen. Ich habe eher die Vermutung, dass ich verschiedene Perspektiven einnehmen kann, mich dann aber für eine bestimmte entscheide. Die eben durchaus mit meinen Werten in Zusammenhang steht.
Eine Kosten-Nutzenrechnung nehme ich in dem Fahrradfahrbeispiel nämlich nur in sehr untergeordneter Form vor. Vorrangig mache ich so etwas wie eine "Gefahrenanalyse" mit dem Schwerpunkt: von wem geht eine potentielle Gefahr aus, wer kann diese wie mindern und wer hat letztlich die Verantwortung usw. Denn mein Ziel ist es: Verletzungen zu vermeiden. Ich frage also eher nach dem "wozu", dem Zweck. Hier kommen meine Werte ins Spiel. Für mich, in meinem Wertesystem, steht das Vermeiden von Verletzungen über einer Kosten-Nutzenrechnung. Insofern ist mein Blickwinkel eben der, dass der Fußgänger im Straßenverkehr die "schwächste" Person ist. (Ich z.B. würde als Radfahrer nicht erkennen wie agil eine zu überholende Person ist, ob sie tatsächlich ohne Schwierigkeiten mit 5 cm Abstand am Bordstein laufen kann usw.)
Ich gehe davon aus, dass alle Beteiligten Verletzungen vermeiden wollen. Ihr gemeinsames "Ziel".
Geht man also meinen Gedankengang durch, mit der Annahme, dass der Fußgänger der "schwächste Teilnehmer" ist, muss ihm ein besonderer Schutz (im Straßenverkehr) gelten. Andersherum ist der zu einer größeren Sorgfalt, Rücksicht verpflichtet, von dem die größere Gefahr ausgeht. Hierbei ist eben zu unterscheiden, dass der Fußgänger durch (typisch) menschliches Verhalten immer als leicht unberechenbar einzuschätzen ist, das ist die Gefahr, die er in sich und vielleicht nach Außen trägt. Und diese hat der mit dem "stärkeren" Fahrzeug zu berücksichtigen. Denn er ist derjenige, der den größeren Schaden verursachen könnte (durch sein Fahrzeug).
Und auch wenn es mir bisher eher um "soziale Regeln" ging kann ich hier auch auf gesetzliche Regeln zurückgreifen. Die in dieser Hinsicht einem ähnlichen Prinzip folgen.
In Deinem Beispiel (ohne Klingelei kommt es zu einer Kollision) würde der Radfahrer die Schuld erhalten.
Hätte er geklingelt, seine Fahrt aber nicht gedrosselt, so dass er jederzeit anhalten könnte, hätte er aber ebenfalls die Schuld erhalten.
Denn laut Gesetz ist seine Verantwortung "höher". Ich wiederhole daher: Die Einschätzung eines (gefahrlosen) Überholmanövers obliegt dem, der überholt.
Ehrlich gesagt kann ich auch nicht unbedingt eine Kosten-Nutzenrechnung in Deiner Argumentation herauslesen, eher eine Begründung, warum du meinst, Fußgänger müssten "flexibler" sein. Und genauso ehrlich: Für mich tun sich da Widersprüche in Deiner Argumentation auf, die ich auf Anhieb nicht klar stellen kann. Der Argumentation, dass Radfahrer von Autofahrern überfahren werden kann ich nur insofern folgen, dass eben dann die Autofahrer ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sind, ähnlich dem Radfahrer, der sein Überholmanöver falsch eingeschätzt hat.
Auch das wiederhole ich: BEIDEN (Fahrradfahrer/Fußgänger) obliegt eine Verantwortung, beide müssen einen Augenblick aus ihrer Comfort-Zone. Doch ein Klingeln allein entbindet den Radfahrer nicht davon in ungeminderter Geschwindigkeit weiter zu fahren. Er ist zu einer größeren Rücksicht -für sein Tun/Verhalten- verpflichtet.
Ganz platt formuliert: Der Fahrradfahrer muss mit einem Rumgehopse und anderem unberechenbaren Verhalten des Fußgängers rechnen.
Und nicht damit, dass sich ein Fußgänger an den Rand drückt, damit er in gleicher Geschwindigkeit fortfahren kann. Der Fußgänger hat nur "Platz" zu machen, unter zumutbaren Umständen und ohne sich in eine andere Gefahr zu bringen. Im ungünstigsten Fall, muss der Fahrradfahrer absteigen und sein Rad an der Person vorbei scheiben.
Woher ich meine Erkenntnis nehme: Zum Einen eben wie mehrfach beschrieben, eigene Erfahrungen, zum Anderen bestätigt Deine Argumentation diesen Eindruck. Es ist eben nicht: Fußgänger kann gefahrlos mit 5 cm Abstand an einem Bordstein laufen, daher muss er das tun, damit der Fahrradfahrer nicht von seinem Rad absteigen muss ... oder der Fußgänger muss auf eine Wiese ausweichen... eben, weil er es kann ... muss er nicht. Sonst könnte man auch von jedem Moutainbikefahrer erwarten, dass er durch den Straßengraben fährt, wenn ihn ein Auto überholen will. Abgesehen davon, ist es eben eine Fehlannahme, dass das JEDER Fußgänger kann. Er muss nicht und manchmal kann er auch gar nicht.

Schön, dass wir klären konnten, dass man mir keine Sichtweise (Supermarkt) erklären musste. War leicht irritiert. Nun ist es geklärt.

@Ryoki
Eine sehr positiv klingende Einstellung! Und sie führt mich dahin zurück, um was es eigentlich noch alles geht, wenn man solche Aspekte (Fahrrad-Fußgänger) durchleuchtet. Und daher kann ich mich dem anschließen. Letztlich liegt es an mir selbst, wie ich anderes und mein eigenes Verhalten bewerte und was ich daraus "mache". Bisher ging es mir hier nur um (unterschiedliche) Wahrnehmung dieses Verhaltens, ich rege mich nicht über Radfahrer auf, ich freue mich aber über jene, die sich bedanken. Und doch hast Du Anstoß gegeben darüber nachzudenken, weshalb es mir wichtig ist, dieses Verhalten (so genau) unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht rege ich mich eben doch auf und nehme es gar nicht wahr? Vielleicht unterdrücke ich diese "Aufregung"? Oder vielleicht bin ich gar zu ähnlichem Schluss wie Du gekommen: Toleriere, was Du nicht ändern kannst?! Schau bei Dir selbst, was Du "ändern" kannst, um Dich "wohler" zu fühlen... Ich werde darüber nachdenken :-)

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Re: Ich finde es seltsam, wie fremde Menschen miteinander umgehen

Beitragvon Avocado » 15. Juni 2022, 20:55

Ja, wie gesagt, es sind unterschiedliche Wertvorstellungen und auch unterschiedliche Wahrnehmungen. Ich würde das Verletzungsrisiko eines Radfahrers z.B. insgesamt höher einschätzen als das eines Fußgängers. Durch die höhere Differenzgeschwindigkeit zum Boden, durch die höhere Position. Durch die Instabilität beim Bremsen. Und noch weitere Faktoren.
Wie die Rechtslage dazu konkret aussieht, weiß ich nicht. Ich kenne nur die Kfz-Regeln (halbwegs). Soetwas auf andere Verkehrsteilnehmer zu übertragen ist immer schwierig. Da du dich auf die Rechtslage beziehst: Hast du eine Quelle?

Insgesamt ist die Frage, inwiefern man die Rechtslage als Grundlage für die eigene Bewertung sieht. Ich lehne grundsätzlich das Konzept ab, meine Wertvorstellung nach den Gesetzen auszulegen. Oft sind Gesetze auch nicht alltagstauglich, die Gesellschaft funktioniert da nur, weil sich nicht dran gehalten wird. Bzw. die Ausgestaltung von Behördenseite ist so, dass es absolut keinen Sinn ergibt.
Ich persönlich würde z.B. einen zügigen Verkehrsfluss auch als wichtiges Ziel ansehen, gegen das die Sicherheit aufgewogen werden muss. Gerade das sieht man häufig im Straßenverkehr. Beispiel: Eine Straße mit 3m Breite plus 50cm Fahrradschutzstreifen. Wenn dort ein Fahrrad fährt, muss trotzdem 1.5m Sicherheitsabstand gehalten werden. Ein Radfahrer muss 80cm zum Rand einhalten, plus 50cm Breite, plus 150cm Sicherheitsabstand macht 280 - also ganze 70cm für das Auto, um StVO-Konform zu überholen. Ein Überholen ist dort also grundsätzlich für Kfz unmöglich, die Aufteilung in zwei separate Streifen ist absurd. Warum wurde das gemacht? Damit die Autofahrer trotzdem überholen, weil sonst die ganze Straße verstopft wäre. Ist das sicher? nö. Ist das rechtlich okay? keine Ahnung. Aber es sorgt eben dafür, dass ein anderes Ziel erfüllt wird.
Generell würde ich behaupten, dass für die meisten Menschen Sicherheit nur soweit relevant ist, wie sie rechtlich relevant ist. Im allgemeinen eher weniger als das.

Um das ganze etwas abzurunden: Egal wo, es gibt immer schwarze Schafe. Genauso wie es Rambo-Radfahrer gibt, gibt es auch Träumer-Fußgänger, die unbedingt nebeneinander an Engstellen laufen müssen.
Ich persönlich mache einfach soweit Platz, wie es mir bequem ist. Und wenn jemand mit 10cm an mir vorbeirauscht (nicht nur Fahrrad, auch Auto), ist mir das egal. Da mache ich tatsächlich auch immernoch oft den Fehler, zu vergessen, dass andere vor sowas Angst haben.

Sorry wenns etwas konfus ist, habs nicht mehr Korrekturgelesen.


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